Separatisten im Siebengebirge - Schicksaltage des Rheinlandes vor 50 Jahren

Dritte Folge: Die rheinische Separatistenbewegung im Krisenjahr 1923 - Von Rudolf Wolfgarten

Vor 50 Jahren, im Herbst des Krisenjahres 1923, wurden viele Städte im Rheinland von bewaffneten Truppen der rheinischen "Separatisten" besetzt, deren Ziel es war, das Rheinland vom Deutschen Reich abzutrennen und eine unabhängige "Rheinische Republik" zu errichten. Im November 1923 griffen die Unruhen auch auf unsere Heimatstadt über. Für eine Woche wurde Honnef sogar zum Hauptquartier der Separatistentruppen. Als diese aber nach blutigen Kämpfen mit den Selbstschutzorganisationen einiger Westerwaldgemeinden am 16. November bei Aegidienberg eine eindeutige Niederlage erlitten, fand ihre Herrschaft in Honnef ein Ende. Der erfolgreiche Widerstand der Bevölkerung im Siebengebirge und in vielen rheinischen Städten war von großer Bedeutung für die Zukunft des Rheinlandes. Er trug dazu bei, daß die separatistische Bewegung bald vollends zusammenbrach. Das Rheinland blieb ein Teil des Deutschen Reiches.
Die folgende Darstellung der Ereignisse im Herbst 1923 und ihrer geschichtlichen Hintergründe wird als Fortsetzungsserie allwöchentlich in der Samstags-Ausgabe der HVZ veröffentlicht. Sie möchte als ein Beitrag zur Heimatgeschichte verstanden werden, der sich auf wesentliche Aspekte beschränkt und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Die bisherigen Folgen befaßten sich mit der Entwicklung des rheinischen Separatismus in der Zeit von 1918 bis 1922. Im Verlaufe des Jahres 1919 war es zu einer Spaltung in eine legale und eine illegale Richtung dieser rheinischen Eigenständigkeitsbewegung gekommen. Nur der illegale Separatismus verfolgte auch nach 1922 sein Ziel weiter, einen neutralen Rheinstaat zu schaffen.

Im Jahre 1923 erreichten die politischen und wirtschaftlichen Belastungen, denen die junge deutsche Republik seit 1918 ausgesetzt war, ihren Höhepunkt. Durch den Verlust und die Besetzung wichtiger Gebiete war die deutsche Wirtschaft erheblich geschwächt worden. Hinzu kamen die außerordentlich hohen Wiedergutmachungsleistungen, die von den Siegermächten für die im Ersten Weltkrieg erlittenen Schäden verlangt wurden. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten führten zu einer raschen Entwertung des Geldes. Während man im Frühjahr 1919 für einen US-Dollar 9 Mark bezahlt hatte, waren es Anfang 1923 bereits 18000 Mark. Weite Kreise der Arbeiterschaft und des Mittelstandes gerieten nun in große Not.

Ruhrkampf und Inflation

Die Situation wurde noch ernster, als französische Truppen im Januar 1923 das Ruhrgebiet besetzten. Frankreich wollte auf diese Weise das mit Reparationsleistungen in Rückstand geratene Deutschland zu einer plangerechten Erfüllung seiner Verpflichtungen zwingen. Dieser Schritt löste überall im Reich große Empörung aus. Die Bevölkerung des Ruhrgebietes folgte dem Aufruf der Reichsregierung und beantwortete die Besetzung ihrer Heimat mit passivem Widerstand. Bald kam es auch zu zahlreichen Sabotageakten. Bei Auseinandersetzungen mit französischen Truppen wurden im Verlaufe des Ruhrkampfes viele Menschen getötet. Tausende wurden verhaftet oder ausgewiesen.
Die Unterstützung der Streikenden an der Ruhr kostete dem Reich täglich etwa 40 Millionen Goldmark und versetzte der alten Währung den Todesstoß. Am 26. September sah sich die Reichsregierung unter ihrem neuen Kanzler Gustav Stresemann daher gezwungen, die Einstellung des passiven Widerstandes zu verkünden, um Deutschland vor dem völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu bewahren. Wenige Wochen später wurde die Währung neu geordnet. Eine "Rentenmark" entsprach nun einer Billion der alten Papiermark.

Separatisten zurückhaltend

Gewarnt durch die Ereignisse im Ruhrgebiet hatten die Führer der illegalen rheinischen Separatistenbewegung (Dorten, Smeets u.a.) ihren Plan aufgegeben, im Frühjahr 1923 unter dem Schutz der französischen und belgischen Besatzungstruppen einen neutralen Rheinstaat auszurufen. Zu groß erschien ihnen die Gefahr, sich durch übereilte Aktivität den Unmut der Bevölkerung zuzuziehen. Stattdessen nutzten sie die Ratlosigkeit und die Not vieler Menschen an Rhein und Ruhr geschickt für ihre Zwecke aus. Wer damals ihrer Bewegung beitrat, war vor allen französischen Maßnahmen sicher. Tatsächlich fanden sich in diesen Wochen auch manche Menschen zu ihnen, die vorher niemals Sympathien für die separatistischen Ziele gezeigt hatten.

Josef Matthes

Am 17. März 1923 wurde auf den Separatistenführer Smeets ein Attentat verübt, das für die weitere Entwicklung der gesamten Bewegung von großer Bedeutung sein sollte. Der schwerverletzte Smeets fiel für die Folgezeit aus. An seine Stelle trat der aus Würzburg stammende Journalist Josef Matthes. In ihm fand die Separatistenbewegung einen ebenso gerissenen wie entschlossenen Führer, dem es in den Sommermonaten des Jahres 1923 gelang, die Anhänger der verschiedensten Gruppen zusammenzufassen und damit die Voraussetzung für eine große, gemeinsame Aktion zu schaffen. Matthes konnte sogar den Einfluß Adam Dortens beträchtlich einengen.

Mit aller Kraft trieb er die Bewegung voran. Die Einstellung des passiven Widerstandes war zu erwarten. Viele Menschen in den besetzten Gebieten fragten sich dann wohl enttäuscht nach dem Sinn der Opfer, die in den vergangenen Monaten gebracht worden waren. Viele würden sich zumindest für kurze Zeit von der Reichsregierung im Stich gelassen fühlen. Dieser psychologisch günstige Augenblick mußte genutzt werden. Im Einvernehmen mit französischen Verbindungsleuten wurde ein Plan aufgestellt, nach dem das gesamte Gebiet des neuen Rheinstaates bis zum 18. November in der Hand der Separatisten sein sollte.

Der "Rheinlandschutz"

Die Erfahrungen vom Juni 1919 hatten gezeigt, wie zwecklos ein Putsch ohne wirksame militärische Unterstützung war. Deshalb wurden überall im Lande, besonders im Industriegebiet, Arbeitslose für eine militärische Organisation der Separatisten angeworben, die den Namen "Rheinlandschutz" erhielt. Zum "Oberbefehlshaber" wurde Mitte September der aus dem Kapp-Putsch von 1920 bekannte Revolutionär Karl Leidner ernannt. In einem Geheimbefehl bestimmte Leidner am 25. September die innere und äußere Ordnung des "Rheinlandschutzes". Fahne und Truppenabzeichen der Separatisten sollten die Farben Grün-Weiß-Rot haben.

Am 30. September, wenige Tage nach der Einstellung des passiven Widerstandes an der Ruhr, versammelten sich zum erstenmal große Teile der neuen Organisation auf einer Großkundgebung der Separatisten in Düsseldorf. Obwohl das Oberkommando die Mitglieder des Rheinlandschutzes zu diszipliniertem Verhalten aufgefordert hatte, kam es schon bald zu Ausschreitungen. Blutige Kämpfe mit der Düsseldorfer Polizei forderten mehrere Todesopfer. Nur das Eingreifen französischer Truppen konnte den Rheinlandschutz vor einer vernichtenden Niederlage bewahren.

Ausrufung der "Rheinischen Republik"

Nach der mißlungenen Kundgebung von Düsseldorf hielten sich die Separatisten zunächst zurück. Um so überraschender kam dann die Nachricht, daß in Aachen einheimische Sonderbündler am 21. Oktober 1923 mit der Verwirklichung ihrer Ziele begonnen hatten.
Die Zeitungen berichteten über die Ereignisse: "In der Nacht zum Sonntag erschienen plötzlich bewaffnete Trupps der Sonderbündler auf dem Polizeipräsidium und besetzten es, ohne daß von der Polizei Widerstand geleistet wurde. Gegen 3 Uhr zogen die Sonderbündler auf den Marktplatz und von dort aus ins Rathaus. Im Kaisersaal des Aachener Rathauses wurde dann die "Rheinische Republik" verkündet. Als die Aachener Bevölkerung am Morgen auf die Straße kam, sah sie von den öffentlichen Gebäuden die grün-weiß-rote Flagge wehen. Auf gerade erst angeschlagenen Plakaten hieß es:
"An das Rheinische Volk! Der Tag der rheinischen Freiheit ist angebrochen! Das Rheinland den Rheinländern! Wir haben gehandelt! Die öffentliche Gewalt befindet sich in unseren Händen! Es lebe die Rheinische Republik!
Die vorläufige Regierung!"
Das Vorgehen der Sonderbündler vollzieht sich unter den Augen der belgischen Besatzungstruppen. Über den Umfang der Bewegung kann man sich zur Zeit noch kein Bild machen.

"Vorläufige Regierung"

Selbst die führenden Separatisten Matthes und Dorten wurden von den Aachener Vorgängen völlig überrascht. Ihnen erschien der Rheinlandschutz vier Wochen vor dem eigentlich beabsichtigten Termin noch zu schwach. Sie konnten sich aber der einmal begonnenen Aktion nicht mehr entziehen und unternahmen nun auch ihrerseits alle notwendigen Maßnahmen.

In Koblenz bildeten sie eine vorläufige Regierung. Matthes solle die Bezirke Aachen, Düsseldorf und Koblenz übernehmen, Dr. Dorten die Bezirke Trier, Wiesbaden und die Pfalz. Schon wenige Tage später jedoch erweiterte Matthes seine Exekutivgewalt auf das ganze Rheinland. Als "Ministerpräsident der Vorläufigen Regierung der Rheinischen Republik" stellte er der Öffentlichkeit sein Kabinett vor, in dem der Name Dortens fehlte. In der neugegründeten "Rheinischen Staatszeitung" wurden Beschlüsse der Regierung fortan veröffentlicht und erläutert.

Reaktionen

Zwei Tage nach der Aachener Proklamierung wandten sich die deutschen politischen Parteien des Rheinlandes scharf gegen die Ziele der Separatisten. Ihr Aufruf schloß mit den Worten:
„Rheinländer! Vertraut in diesen schwersten Tagen unseres Landes euren Führern! Habt Vertrauen zu den politischen Parteien! Sie sind sich ihrer Aufgabe bewußt und werden ihre Pflicht tun. Größer denn je ist gegenwärtig die auf uns allen lastende Verantwortung."
Deutsche Demokratische Partei
Deutschnationale Volkspartei
Sozialdemokratische Partei
Zentrumspartei.

Auch die Gewerkschaften und die Beamtenschaft erklärten, daß für sie nur Weisungen der Reichsregierung in Berlin maßgebend seien. Verhandlungen mit denen, die sich von Deutschland abwenden wollten, seien ausgeschlossen.
In vielen rheinischen Städten und Gemeinden schritt die Bevölkerung jetzt zur Selbsthilfe. Schutzorganisationen wurden gebildet, denen es vielerorts tatsächlich schon nach wenigen Tagen gelang, die Separatisten zum Abzug zu zwingen.

Weitere Besetzungen

Trotz der deutlichen Ablehnung, auf die sie fast überall trafen, drangen die Separatisten weiter vor. Immer wieder bemächtigten sie sich öffentlicher Gebäude und riefen ihre "Rheinische Republik" aus. Dabei konnten sie sich meist auf die stillschweigende Duldung, manchmal sogar auf den Schutz der Besatzungstruppen stützen. Ohne diese Haltung der französischen und belgischen Besatzungsbehörden wären sie wahrscheinlich kaum zu einer ernsthaften Gefahr für das Rheinland geworden.

Nach der Erstürmung des Rathauses in Bonn am 23. Oktober erwartete man auch in den Orten am Fuße des Siebengebirges den Einmarsch der Sonderbündler, obwohl einheimische Separatisten behaupteten, daß nur größere Städte für eine Besetzung in Frage kämen. Schon bald sollte sich diese Erwartung bestätigen.

 — Fortsetzung folgt —


Regierungskabinett der Rheinischen RepublikPapiergeld wird von der Reichsbank abgeholt Französische Wache auf einem Kohlentransport Ministerpräsident Matthes
04.11.1973
Honnefer Volkszeitung