Separatisten im Siebengebirge - Schicksaltage des Rheinlandes vor 50 Jahren

Vierte Folge: Die rheinische Separatistenbewegung im Krisenjahr 1923 - Von Rudolf Wolfgarten

Im Herbst des Krisenjahres 1923 wurden viele Städte im Rheinland von bewaffneten Truppen der rheinischen "Separatisten" besetzt, deren Ziel es war, das Rheinland vom Deutschen Reich abzutrennen und eine unabhängige "Rheinische Republik" zu errichten. Der überwiegende Teil der Bevölkerung und alle großen politischen Parteien wandten sich entschieden gegen die Pläne der Separatisten. Vielerorts kam es daher zu erbitterten Kämpfen.
Im November 1923 griffen die Unruhen auch auf unsere Heimatstadt über. Für eine Woche wurde Honnef sogar zum Hauptquartier der Separatistentruppen. Als diese aber nach blutigen Kämpfen mit den Selbstschutzorganisationen einiger Westerwaldgemeinden am 16. November bei Aegidienberg eine eindeutige Niederlage erlitten, fand ihre Herrschaft in Honnef ein Ende. Der erfolgreiche Widerstand der Bevölkerung im Siebengebirge und in vielen rheinischen Städten war von großer Bedeutung für die Zukunft des Rheinlandes. Er trug entscheidend dazu bei, daß die separatistische Bewegung bald vollends zusammenbrach. Das Rheinland blieb ein Teil des Deutsches Reiches.
Die folgende Darstellung der Ereignisse im Herbst 1923 und ihrer geschichtlichen Hintergründe wird als Fortsetzungsserie allwöchentlich in der Samstags-Ausgabe der HVZ veröffentlicht. Sie möchte als ein Beitrag zur Heimatgeschichte verstanden werden, der sich auf wesentliche Aspekte beschränkt und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Aufgabe der bisherigen Folgen, die sich mit der Entwicklung des rheinischen Separatismus von 1918 bis 1923 befaßten, war es, das Geschehen in unserer Heimat in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang zu stellen.


Nach der Erstürmung des Rathauses in Bonn am 23. Oktober erwartete man auch in den Orten am Fuße des Siebengebirges den Einmarsch der Separatisten. Die Bürger der Stadt Königswinter erfuhren als erste, daß man sich in dieser Erwartung nicht getäuscht hatte.

Königswinter besetzt

Am 25. Oktober besetzten 27 bewaffnete Sonderbündler, die offenbar von Bonn gekommen waren, das Rathaus in Königswinter. Dabei kam es zu erbitterten Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung. Mehrere Personen wurden verletzt, als die Separatisten von ihren Schußwaffen Gebrauch machten. Erst durch das Eingreifen französischer Truppen konnten die Unruhen unterbunden werden. Eine allgemeine Verkehrssperre wurde über die Stadt verhängt, die aber für die Sonderbündler nicht zu gelten schien.

Unter dem Schutz der französischen Behörden wagten sie sich an den folgenden Tagen namlich immer mehr auf die Straßen. In verschiedenen Hotels und Geschäften der Stadt "requirierten" sie Betten, Töpfe, Geschirr und Lebensmittel. Alles wurde sogleich ins Rathaus geschafft, wo sie sich häuslich einrichteten.

Im Bürgermeisteramt schrieben die Separatistenführer Klintz und Appelmann im Namen der "Rheinischen Republik" Requisitions- und Passierscheine aus. Sie verwendeten zunächst vorgedruckte Briefbögen mit dem Königswinterer Wappen. Später versahen sie auch vordruckloses Papier mit dem Kopf "Republique Rhenane, Commune de Königswinter". Die französischen Militärposten erkannten die von ihnen ausgestellten Passierscheine vorbehaltlos an.

Verbot des "Echo"

Die besondere Aufmerksamkeit der Sonderbündler richtete sich für einige Zeit auf die Königswinterer Druckerei Tillewein, in der dreimal wöchentlich die Lokalzeitung "Echo des Siebengebirges" herausgegeben wurde. Als am 27. Oktober im "Echo" ein ausführlicher Bericht über die Erstürmung des Rathauses und die Ausschreitungen der Bevölkerung gegen die Separatisten erschien, teilte der Separatistenführer Klintz der Redaktion in einem kurzen Schreiben mit, die Zeitung sei "bis auf weiteres verboten". Angesichts der augenblicklichen Macht der Sonderbündler wagte die Redaktion es nicht, sich dem Verbot zu widersetzen, und stellte daher den Druck der Zeitung vorerst ein.
Da man beim französischen Stadtkommandanten in Königswinter die Aufhebung des Verbotes nicht erreichen konnte, wandte man sich einige Tage später an den Colonel Gelin der Rheinlandkommission in Bonn, der als wenig separatistenfreundlich bekannt war. Dieser ließ durch seinen Adjudanten auf das Verbot der Sonderbündler den Vermerk schreiben:
"Die Separatisten haben keine Polizeigewalt; daher ist dieses Verbot oder ein anderes ähnliches nichtig, wenn es nicht vom Delegierten gebilligt und bestätigt wird." (Übersetzung des Verfassers).
Nachdem auch der französische Kreisdelegierte in Siegburg diese Ansicht teilte, konnte das "Echo" am Abend des 9. November wieder erscheinen. Die Sonderbündler waren mit dieser Entwicklung sichtlich unzufrieden, mußten sich aber der Entscheidung des Kreisdelegierten fügen.

In der ersten Novemberwoche fühlten sich die Separatisten in Königswinter bereits so sicher, daß sie vor dem Postamt immer häufiger Requisitionen durchführten. Sie beschlagnahmten die Ladungen vieler vorüberkommender Fahrzeuge, meist wichtige Lebensmittel, die für die Nachbarorte Honnef, Unkel, Erpel oder Linz bestimmt waren, Nächtliche Hausdurchsuchungen waren an der Tagesordnung. Die örtliche Polizei konnte nicht einschreiten, da sie der Verkehrssperre unterworfen war und über Waffen nicht verfügte.

Erst am 9. November wurden der Willkür der Sonderbündler gewisse Grenzen gesetzt, als ein neuer französischer Stadtkommandant nach Königswinter kam. Die Polizei erhielt ihre Selbständigkeit zurück, konnte im Gebäude des Amtsgerichtes eine Wache einrichten und wurde von der Verkehrssperre befreit. Auf ihren Streifengängen vereitelten die Polizeibeamten nun manche Gewalttätigkeiten der Separatisten.

Unruhe ın Honnef

In Honnef verfolgte man unterdessen die Vorgänge im Nachbarort mit größtem Interesse. Man war überzeugt, daß der Einmarsch von Separatisten auch hier unmittelbar bevorstünde. Am Tage der Besetzung Königswinters hatten Feuerwehr und Polizeibeamte daher gemeinsam den Schutz des Honnefer Rathauses übernommen. Abends zogen empörte Bürger, darunter viele Arbeitslose, zu den Wohnungen einiger Einheimischer, denen man nachsagte, Anhänger separatistischer Vereinigungen zu sein. Als "Landesverräter" beschimpft, wurden die Verdächtigen zur Polizeiwache gebracht. Dort ließ man sie allerdings nach kurzem Verhör wieder frei. Ein ebenfalls verdächtiger Honnefer Kaufmann verteidigte sich in seinem Haus mit Schußwaffen. Spät in der Nacht gelang es ihm, auf Umwegen nach Bad Godesberg zu fliehen, von wo er erst zurückkehrte, als sich die Gemüter etwas beruhigt hatten.

Der erwartete Einmarsch der Sonderbündler blieb aber zunächst noch aus. Gewarnt durch die vorangegangenen Unruhen und Ausschreitungen entschloß sich die Honnefer Stadtverwaltung, auch für den Fall eines gewaltsamen Eindringens der Sonderbündler, nicht noch einmal die Bürgerschaft zu alarmieren. Man begnügte sich damit, das Rathaus nachts durch Absperrungen zu sichern. Bewaffneten Widerstand hielt man für sinnlos und gefährlich, weil man aus den Ereignissen in Königswinter erfahren hatte, was es bedeutete, wenn die Bevölkerung der Rache und Willkür der Separatisten preisgegeben war. Wie in den anderen Städten und Gemeinden am Rhein und im Westerwald verfolgte man besorgt die Berichte der Zeitungen über das weitere Vordringen der Separatistenbewegung.

Anfang November meldeten die Zeitungen, daß auf Anweisung der Regierung in Brüssel alle Sonderbündler die belgische Besatzungszone verlassen mußten. Die Menschen am Niederrhein konnten also aufatmen. Ihr Widerstand hatte sich gelohnt. Umso bedrohlicher wurde nun die Lage am Mittelrhein.
Die in Koblenz gebildete "Vorläufige Regierung der Rheinischen Republik" gab nämlich nach dem Rückschlag in der belgischen Zone ihre Aktivität keineswegs auf. Sie ließ vielmehr alle ausgewiesenen Sonderbündler mit der Regiebahn über Düren und Bonn nach Koblenz bringen.

Als größte geschlossene Abteilung traf dort die "Fliegende Division Nord" ein, die an den Kämpfen in Aachen und Krefeld teilgenommen hatte. Diese Division erhielt am 10. November den Auftrag, unter der Leitung des ehemaligen Bonner Maurermeisters Rang so schnell wie möglich nach Siegburg vorzustoßen und dabei alle wichtigen Orte der Kreise Neuwied und Siegburg in die Hand der Separatisten zu brıngen. Ein Sonderzug brachte die Truppen nach Remagen, von wo sie über die Rheinbrücke nach Erpel und Linz vorrückten. Am Morgen des 12. November wurde auch Unkel besetzt.

Die Separatisten in Honnef

Nach der Besetzung von Unkel rechnete man in Honnef stündlich mit der Ankunft der Sonderbündler. Wie bisher verzichtete aber die Stadtverwaltung bewußt darauf, einen bewaffneten Widerstand zu organisieren. Am Abend des 12. November wurde daher das Rathaus in der seit drei Wochen üblichen Weise fest verriegelt und von zwei Polizeibeamten und einigen Helfern bewacht. Bald kam aus Linz die telefonische Mitteilung, die Separatisten seien nach Honnef unterwegs. In der Stadt blieb alles ruhig. Die Wächter des Rathauses prüften noch einmal die Verriegelung der Eingänge.

Besetzung des Rathauses

Gegen 23 Uhr fuhr dann auf dem Markt ein Personenkraftwagen vor, der mit seinen Scheinwerfern den Platz vor dem Rathaus hell beleuchtete. Wenig später erschienen etwa 400 Sonderbündler, die das Rathaus umstellten. Als sich auch nach energischem Klopfen im Rathaus nichts regte, wurde die schwere Türe des Haupteinganges eingeschlagen. Die Sonderbündler stürmten in das Gebäude, brachen sämtliche Türen auf und durchsuchten alle Räume. Die Wächter wurden festgenommen und entwaffnet. Einer von ihnen mußte mit 20 "Rheinsoldaten" zu den Wohnungen einiger Beamter der Stadtverwaltung ziehen.
Die Beamten wurden eilends ins Rathaus gebracht. Dort verhörte sie zunächst ein Separatist aus Honnef, der sich ihnen als bevollmächtigter "Stadtkommissar" vorstellte. Keul, so hieß der Mann, behauptete immer wieder, die Polizei hielte zahlreiche Waffen versteckt. Keiner der Verhörten wußte aber etwas darüber. Dann versuchte ein Führer der Sonderbündler die Beamten für die neue "Rheinische Republik" zu gewinnen und zur Mitarbeit zu überreden, freilich ohne Erfolg. Der stellvertretende Bürgermeister Seulen erklärte, er könne Entscheidungen nur im Einvernehmen mit den gewählten Vertretern der Bürgerschaft treffen. Er wurde daraufhin für den folgenden Tag zu weiteren Besprechungen in das Rathaus bestellt und entlassen. Die festgenommenen Polizeibeamten durften erst spät in der Nacht nach Hause gehen. Inzwischen hatten sich die Separatisten in verschiedenen Gebäuden der Stadt einquartiert. Der größte Teil von ihnen wurde im Saal des Kurhauses untergebracht.

Verhandlungen

Am Morgen des 13. November fanden dann im Rathaus die geplanten Verhandlungen zwischen den Vertretern der Bürgerschaft und den Sonderbündlern statt. Letzteren ging es offensichtlich nur um die Sicherheit ihrer Fahne, die man am Nachmittag auf dem Marktplatz feierlich hissen wollte. An der Übernahme von Verwaltungsgeschäften waren sie dagegen kaum interessiert. Daher erklärten sie sich bereit, das Rathaus bis auf zwei Zimmer zu räumen. Sobald das geschehen wäre, sollte die Stadtverwaltung ihre Arbeit wieder aufnehmen können.

Gestörte Flaggenhissung

Gegen 15 Uhr rückten drei Kompanien des Rheinlandschutzes auf dem Marktplatz an. Vor den Augen vieler Honnefer Bürger kam es nun zu einem Schauspiel ganz besonderer Art. Die HVZ berichtete am nächsten Tag darüber:
"Nachdem die Truppen ausgerichtet waren, erschien der Divisionsadjudant Busch im Rathausportal, um von dort eine Ansprache zu halten. Er stellte fest, daß unter seiner Führung in vergangener Nacht Erpel, Unkel und Honnef besetzt worden seien, und zwar, wie er betonte, zu seiner Freude "ohne Widerstand der Bevölkerung." Der Redner wies darauf hin, daß die Truppen angewiesen seien, sich jeder Belästigung der Bevölkerung zu enthalten. Requisitionen seien verboten. Andererseits würden die Truppen, sollten sie angegriffen werden, rücksichtslos von ihren Waffen Gebrauch machen. Politisch wolle die Bewegung ein freies Rheinland, frei von Frankreich, frei von Belgien, frei von Berlin und frei vom deutschen Terror. Zum Schluß rief der Redner die Rheinische Republik auch für Honnef aus. Nach der Rede wurde die grün-weiß-rote Flagge auf dem Balkon des Rathauses angebracht. Im gleichen Augenblick verließ aber das Publikum, das den Markt einsäumte, auf ein aus seiner Mitte ausgegebenes Kommando "Kehrt Marsch" den Markt, während die auswärtigen Truppen ein dreifaches Hoch auf die Rheinische Republik ausbrachten. Da löste sich plötzlich aus dem Gewehr eınes separatistischen Wachtpostens ein Schuß. Er ging zwar glücklicherweise in die Luft, führte aber dazu, daß alle Zuschauer fluchtartig den Marktplatz verließen. Nach wenigen Minuten waren die Sonderbündler unter sich. Wütend über den Zwischenfall gab der Kommandant den Befehl zum Abmarsch in die Quartiere."

Hauptquartier der Sonderbündler

In den folgenden Tagen wurden die in Honnef einquartierten Sonderbündler sehr zum Unwillen der Bevölkerung immer weiter verstärkt. Schließlich standen dem Divisionskommandanten Rang etwa 900 "Soldaten" der "Fliegenden Division Nord" für den geplanten Vorstoß nach Siegburg zur Verfügung. Honnef war also zu einem Hauptquartier separatistischer Truppen geworden.
Nur ein geringer Teil der "Rheinsoldaten" verfügte über Schußwaffen. Die meisten machten eher einen verwahrlosten, undisziplinierten Eindruck. Mit alten Säbeln und Schlagstöcken bewaffnet lungerten sie in der Stadt herum. Viele von ihnen waren Kriminelle oder Arbeitslose, die man für ein geringes Tagegeld angeworben hatte. Trotz strenger Anordnung ihrer Führer ließen sich einzelne Sonderbündler auf Auseinandersetzungen mit Honnefer Bürgern ein.

Requisitionen

Die Verpflegung der Truppen erwies sich bald als sehr schwierig. Da die in Honnef vorhandenen Vorräte nahezu verbraucht waren, versuchten die Separatisten die nötigen Lebensmittel in der Umgebung zu requirieren. Dafür boten sich vor allem zwei Gebiete an: Im Süden lockte die Haaneburg mit ihrem großen landwirtschaftlichen Betrieb und im Osten, auf der Höhe des Siebengebirges und im angrenzenden Westerwald, versprachen zahlreiche Bauernhöfe eine ausreichende Beute.
Vollbeladen kehrte auch bald ein Requisitionskommando von der Haaneburg zurück. Ganz anders erging es aber einer Gruppe von Separatisten, die in Himberg requirieren wollten. Sie wurde auf der Schmelztalstraße von bewaffneten Einheimischen aufgehalten und vertrieben. Ihr Lkw rammte einen Kilometerstein und mußte erheblich beschädigt zurückgelassen werden.

Racheaktion der Separatisten

Die deutliche Abfuhr, die das Requisitionskommando der Sonderbündler bei Himberg erfahren hatte, beunruhigte die Separatistenführer. Nach einem vergeblichen Versuch, mit dem Oberkommando in Koblenz zu telefonieren, kündigte der Divisionär Rang in höchster Erregung auf dem Postamt in Honnef eine furchtbare Racheaktion gegen die Gemeinde Aegidienberg an. Die diensthabenden Postbeamten verständigten noch spät in der Nacht den dortigen Gemeindevorsteher Klein von den Absichten der Sonderbündler.

— Fortsetzung folgt —


Divisionär RangFahne der Rheinischen Republik in Königswinter Leibgarde des Ministerpräsidenten Passierschein aus Königswinter Verbot der Königswinterer Zeitung
11.11.1973
Honnefer Volkszeitung