Separatisten im Siebengebirge - Schicksaltage des Rheinlandes vor 50 Jahren

Letzte Folge: Separatisten verlassen Siebengebirge - Bedeutung der Kämpfe bei Aegidienberg - Von R. Wolfgarten

Im Herbst des Krisenjahres 1923 wurden viele Städte im Rheinland von bewaffneten Truppen der rheinischen Separatisten besetzt, deren Ziel es war, das Rheinland vom Deutschen Reich abzutrennen und eine unabhängige "Rheinische Republik" zu errichten. Der überwiegende Teil der Bevölkerung und alle großen politischen Parteien wandten sich entschieden gegen die Pläne der "Sonderbündler". Vielerorts kam es daher zu erbitterten Auseinandersetzungen.
Im November 1923 griffen die Unruhen auch auf unsere unmittelbare Heimat über. Für eine Woche wurde Honnef sogar zum Hauptquartier der separatistischen Truppen. Am 16. November schließlich fand das Geschehen im Siebengebirge seinen absoluten Höhepunkt. Zwischen den Sonderbündlern und den Einwohnerwehren einiger Westerwaldgemeinden entwickelten sich bei Aegidienberg blutige Kämpfe, deren Ausgang für die weitere Entwicklung der Separatistenbewegung von entscheidender Bedeutung war.
Die Darstellung der Ereignisse im Herbst 1923 und ihrer geschichtlichen Hintergründe möchte als ein Beitrag zur Heimatgeschichte verstanden werden, der sich auf wesentliche Aspekte beschränkt und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Am Morgen des 16. November 1923 hatte ein Sonderkommando der Separatisten im Kampf mit den "Heimwehren" mehrerer Westerwaldgemeinden eine vernichtende Niederlage erlitten. Völlig überrascht von der Kraft und Entschlossenheit der Abwehrbewegung waren die Sonderbündler zurück nach Honnef geflohen, wo sich seit einigen Tagen ihr Hauptquartier befand. Tote und Verwundete wurden mit Lastwagen eilends abtransportiert. Ihre genaue Zahl blieb unbekannt, weil die französische Besatzungsbehörde über die Ereignisse bei Aegidienberg eine Nachrichtensperre verhängte. In später verfaßten Berichten schätzte man, daß mehr als 30 Separatisten gefallen waren.

Ein letzter Versuch

Die Niederlage beeinträchtigte die Disziplin und den Zusammenhalt der Sonderbündler in Honnef in starkem Maße. Viele "Rheinsoldaten" desertierten, weil sie jegliches Vertrauen zu ihren Führern verloren hatten. Um die Moral seiner Männer wieder aufzurichten, unternahm der "Divisionär" Rang am Nachmittag einen letzten Versuch, doch noch, wie vorher geplant, nach Siegburg vorzustoßen.
Mit dem größten Teil der ihm noch zur Verfügung stehenden Truppen marschierte er durch das Schmelztal in Richtung Aegidienberg. Gewarnt durch das Geschehen am Morgen wollte er es aber diesmal nicht auf eine offene Auseinandersetzung mit den Heimwehren ankommen lassen. Eine weiße Fahne schwenkend, näherte er sich daher vorsichtig der Postenkette des Selbstschutzes. Beauftragte der Heimwehren, darunter ihr Führer Hermann Schneider, traten ihm entgegen. Rang verlangte einen ungehinderten Durchzug seiner Leute nach Siegburg. Als Gegenleistung garantierte er die Sicherheit der Bevölkerung vor Übergriffen der Sonderbündler. Nötigenfalls werde er die Unterstützung französischer Truppen anfordern. Hermann Schneider zeigte sich jedoch wenig beeindruckt von dieser Drohung und lehnte alle Forderungen des Divisionärs ab. Nach einer kurzen Beratung mit seinen Offizieren entschloß sich Rang zum Rückzug nach Honnef, wo man weitere Anweisungen des Oberkommandos in Koblenz abwarten wollte.

Auflösung der "Fliegenden Division Nord"

Angesichts der Unruhen sah sich der Kreisdelegierte in Siegburg nun zum Eingreifen veranlaßt. Noch am Abend des 16. November traf eine Abteilung französischer Soldaten in Honnef ein. Die Sonderbündler wurden entwaffnet. Auch die Bevölkerung der Stadt sollte alle Waffen abliefern, die sich noch in ihrem Besitz befanden.

Wenige Stunden später erhielt der Divisionär Rang vom separatistischen Oberkommando in Koblenz einen wichtigen Befehl. Er mußte sofort die ihm unterstellte "Fliegende Division Nord" offiziell auflösen. Damit zeichnete sich ein Ende der separatistischen Herrschaft im Siebengebirge ab.

"Freiheit"

Unter der Überschrift "Freiheit?" wollte die HVZ am 17. November einen Bericht über die erfolgreichen Kämpfe der Heimwehren bei Aegidienberg veröffentlichen. Dieser Bericht mußte aber auf Anordnung des französischen Stadtkommandanten unleserlich gemacht werden.

Ebenso geschah es mit dem Abdruck einer Protestentschließung, die von den Honnefer Stadtverordneten am Vortage formuliert und einstimmig gebilligt worden war. Ihr Wortlaut ist dem Ratsprotokoll vom 16. 11. 1923 zu entnehmen. Darin heißt es u. a.:
"Als berufene Vertreter der gesamten Bürgerschaft erheben wir schärfsten Protest gegen die Besetzung der Stadt Honnef und die Ausrufung der sogenannten Rheinischen Republik durch bewaffnete landfremde Eindringlinge. Die dadurch hervorgerufenen Zustände in der Stadt Honnef sind geradezu unhaltbar geworden und erfordern dringend der sofortigen Abänderung."

Die Stadtverordneten hatten eine Abordnung Honnefer Bürger benannt, die zur Rheinlandkommission nach Koblenz fahren und sich dort für die baldige Entwaffnung und Ausweisung der Sonderbündler einsetzen sollte.

Durch die Ereignisse des folgenden Tages wurde diese Fahrt allerdings überflüssig. Im Verlauf des 17. November ließ nämlich der Kreisdelegierte die französischen Truppen in Honnef durch ein Schwadron Dragoner verstärken. Alle Separatisten wurden im Kurhaus interniert und auf einen Abtransport vorbereitet.

Französische Nachforschungen

Weitere Abteilungen französischen Militärs besetzten unterdessen Aegidienberg und seine Umgebung. Die Angehörigen der Heimwehren waren über die Ankunft der Franzosen vorher unterrichtet worden und konnten rechtzeitig in ihre Heimatorte zurückkehren, wo sie ihre Waffen versteckten.

In Oberpleis und Hövel leitete der Kreisdelegierte persönlich eine Untersuchung der Vorfälle im Siebengebirge. Ohne Erfolg suchte er dabei vor allem etwas über Herkunft und Verbleib der vom Selbstschutz benutzten Waffen zu erfahren. Deshalb führten seine Soldaten in den nächsten Tagen auch zahlreiche, meist allerdings vergebliche, Hausdurchsuchungen durch.

Die Bevölkerung wurde von den Franzosen im allgemeinen korrekt behandelt. Besonders den Verantwortlichen schien das Geschehene äußerst unangenehm zu sein. Den Angehörigen des inzwischen seinen Verletzungen erlegenen Theodor Weinz sprach der Kreisdelegierte in würdiger Form sein Beileid aus.

Honnef wieder frei!

Nach einer Woche voller Aufregungen und Unruhen konnten die Honnefer Bürger am Sonntag, dem 18. November 1923, endlich aufatmen. Die Separatisten hatten die Stadt verlassen. Über ihren Abzug berichtete die HVZ am nächsten Tag:
"Gestern abend Kurz nach 7 Uhr verließen die auswärtigen Separatisten unsere Stadt. Sie marschierten kompagnieweise aus dem Kurgarten durch den Ausgang in der Luisenstraße über die Bahnhofstraße zum Bahnhof, von wo sie mit einem bereitgestellten Sonderzug abtransportiert wurden. Die Separatisten nahmen auch die am Rathaus gehißte grün-weiß-rote Fahne mit. Vor ihrem Abrücken bat uns die separatistische Führung, bekanntzugeben, daß sie hier vorgekommene Ausschreitungen bedauere. Gleichzeitig könne die Bevölkerung versichert sein, daß alle ausgestellten Requisitionsscheine aus der Kasse genannter Bewegung bezahlt und ebenso alle Schäden ersetzt würden. Die Rechnungen sind an die "Regierung der Rheinischen Republik, Koblenz, Schloß" zu richten.
Der Sekretär des Separatistenführers Matthes, Herr Rosenbaum, erklärte gestern gegenüber der Stadtverwaltung, daß die separatistischen Truppen nicht mehr nach hier zurückkehren würden. Die Stadtverwaltung richtet an die Bevölkerung die dringende Bitte, da nunmehr Honnef wieder frei ist, völlige Ruhe zu bewahren und Disziplin zu zeigen. Dann ist auch damit zu rechnen, daß die französischen Truppen wieder abrücken werden."

Die Schäden

Alle Räume, in denen die Sonderbündler einquartiert gewesen waren, boten nach dem Abzug ein Bild der Verwüstung. Als wohl treffendstes Beispiel mag hier der Kursaal gelten. Die gesamte Inneneinrichtung, die sanitären Anlagen, ja sogar ein Teil der Stromleitungen wurden zerstört vorgefunden. In der Mitte des Saales hatten die Separatisten eine Feuerstelle errichtet. Als Brennholz waren Stühle und Tische benutzt worden. Zahllose Scherben zerbrochenen Geschirrs bedeckten den Parkettboden, der vollkommen erneuert werden mußte.

Die Aufräumungsarbeiten und die Ausbesserung der angerichteten Schäden wurden erst nach vielen Monaten abgeschlossen, als die "Regierung der Rheinischen Republik" schon langst gestürzt war und daher nicht mehr haftbar gemacht werden konnte. Die Geschädigten erhielten später von der Reichsregierung eine meist recht dürftige Abfindung.

Auch Königswinter frei

Die Stadt Königswinter war der einzige Ort im engeren Bereich unserer Heimat, in dem sich die Separatisten auch nach der Räumung Honnefs noch einige Zeit behaupten konnten. Erst acht Wochen später zogen auch die dortigen Sonderbündler ab. In der Nacht zum 16. Januar 1924 verließen sie das bis dahin von ihnen besetzte Rathaus und verschwanden in Richtung Bonn. Die Tage der Separatistenherrschaft im Siebengebirge gehörten nun endgültig der Vergangenheit an.

Das Ende der "Rheinischen Republik"

Seit den verlustreichen Kämpfen bei Aegidienberg mußten die Sonderbündler einen Rückschlag nach dem anderen hinnehmen. Überall im Rheinland stießen sie auf den erbitterten Widerstand der Bevölkerung. In Limburg, Koblenz und Trier wurden sie entwaffnet und ausgewiesen. In der Eifel unterlagen ihre Truppen gegen die Bauernwehren der Einheimischen. Bei den französischen Besatzungsbehörden fanden sie kaum mehr Hilfe.

Schließlich blieb dem "Ministerpräsidenten" Matthes nichts anderes übrig, als das Scheitern seiner Bewegung offiziell einzugestehen. Nach einem heftigen Streit mit anderen Separatistenführern unterrichtete er die Alliierte Rheinlandkommission am 27. November 1923 davon, daß sich die "Vorläufige Regierung" aufgelöst habe. Die "Rheinische Republik" hatte damit bereits fünf Wochen nach ihrer Proklamation ein unrühmliches Ende gefunden.

Einige unermüdliche Vertreter des rheinischen Separatismus unternahmen in den folgenden Monaten noch mehrmals den Versuch, ihre Ziele zu verwirklichen. Sie scheiterten jedoch kläglich und konnten nicht verhindern, daß ihre Bewegung in kürzester Zeit zu völliger Bedeutungslosigkeit herabsank.

Die geschichtliche Bedeutung der Kämpfe im Siebengebirge

Die wahren Motive

Über die Motive der Menschen, die sich im November des Jahres 1923 in den Heimwehren des Westerwaldes zusammengeschlosse n hatten, sind später mancherlei Vermutungen angestellt worden. Es ist nicht leicht, die Haltung der damals Beteiligten richtig zu deuten.

Ohne den Mut und die vaterländische Gesinnung in Zweifel zu ziehen, kann aber doch wohl eines als sicher gelten: Erster und wichtigster Grund für ihre Initiative war und blieb der Schutz der bedrohten Bevölkerung und des persönlichen Eigentums gegen die zu erwartenden Angriffe der Separatisten. Die meisten der Abwehrkämpfer wußten nämlich zunächst kaum etwas über die politischen Absichten der Sonderbündler. Erst als ihnen Zeitungsberichte oder Mitglieder politischer Parteien die Gefährdung der deutschen Einheit durch die Separatisten bewußt machten, wurde ihr Handeln auch durch patriotische Motive bestimmt. Diese Feststellung schmälert aber in keiner Weise die enorme Bedeutung ihres Widerstandes für das Schicksal ihrer Heimat.

In den Kämpfen bei Aegidienberg erlitt die Separatistenbewegung ihre wohl deutlichste und folgenschwerste Niederlage. Zeitungen im In- und Ausland berichteten über die Ereignisse.

Die ablehnende Haltung der rheinischen Bevölkerung gegenüber den Sonderbündlern hatte sich nun auch im Siebengebirge sehr nachdrücklich gezeigt. Daher wurde die Kritik, an der Besatzungspolitik Frankreichs immer lauter. Sogar die Korrespondenten der meisten französischen Zeitungen berichteten jetzt, daß die Separatisten keinerlei Aussicht auf Erfolg mehr hätten.

Angesichts dieser Situation gaben die französischen Besatzungsbehörden fortan jegliche Unterstützung der Sonderbündler auf. Sie vertraten vielmehr immer häufiger die Interessen der Bevölkerung, indem sie Separatisten entwaffneten und abtransportierten. Auch in Honnef griffen sie ja, wie bereits erwähnt, in dieser Weise ein.

Der entschlossene Widerstand, der ihnen überall begegnete, und die veränderte Haltung der Franzosen demoralisierten die Soldaten des "Rheinlandschutzes" in steigendem Maße. Viele desertierten, sobald sich eine Gelegenheit bot. Ganze Einheiten lösten sich auf. Schon nach wenigen Wochen brach die Separatistenbewegung völlig zusammen.

Sicherlich waren sich die Einwohner der Westerwaldgemeinden der Tragweite ihres Handelns kaum bewußt, als sie ihren Selbstschutz gründeten. Durch ihre Initiative trugen sie aber nicht unwesentlich zum Scheitern der Separatistenbewegung bei. Da durch die Ereignisse auch die Ansichten der Regierungen in Paris und Berlin beeinflußt wurden, blieb das Rheinland ein Teil des Deutschen Reiches.

-Schluß


HimmerichEhrenmal in Hövel Kursaal in Bad Honnef Bericht Honnefer Volkszeitung Inschrift des Ehrenmals
25.11.1973
Honnefer Volkszeitung