Ich habe einen Hang zur Perfektion

„Ich habe einen Hang zur Perfektion“

Seit Dorothee Matzer vor fünf Monaten ihr Kostümstudio in Oberpleis eröffnet hat, lassen zahlreiche Traditionscorps‘ ihre Uniformen von ihr anfertigen

Von Gabriela Quarg

KÖNIGSWINTER-OBERPLEIS. | Die tollen Tage stehen unmittelbar bevor und das richtige Kostüm fehlt immer noch? Etwas Ausgefallenes soll es sein, etwas was nicht jeder hat und auf keinen Fall von der Stange? Selber zu Nadel und Faden zu greifen, wird langsam knapp, und es ist auch nicht jeder mit dem nötigen Nähtalent ausgestattet. Eine Lösung, die selbst auf den allerletzten Drücker funktioniert: Ein Kostüm leihen. Und das kann man bei Dorothee Matzer in Oberpleis. Die gelernte Theaterkostümschneiderin hat in der Siegburger Straße eine kleine Kostümschneiderei mit Verleih eröffnet.

Hang zu authentischen Kostümen

Hinter einem schlichten Schaufenster und Eingangsbereich mit 50er-Jahre Charme eröffnet sich ein schier überwältigender Fundus an Kostümen, vom originalgetreuen Kaiser-Franz-Outfit über das opulente Steampunk-Kleid bis hin zum Gewand von Graf Krolock aus dem Musical „Tanz der Vampire“. Hunderte von Kostümen hat Matzer, die 18 Jahre lang in Österreich gelebt hat und im August in ihre rheinische Heimat zurückgekehrt ist, mitgebracht – „500 Kisten, in einem Riesen-Lkw“, wie sie erzählt. Ebenfalls mit an Bord: Nähmaschinen und sonstiges Nähzubehör. Denn die begeisterte Karnevalistin möchte nicht nur ihre alten Kostüme verleihen, sondern auch neue kreieren.

Dass die Nähmaschine im Hinterraum seit Wochen fast ununterbrochen surrt, liegt allerdings daran, dass die ehemalige Bonnerin von Aufträgen großer Karnevalsgesellschaften regelrecht überrollt worden ist. Für die nämlich ist der Name Matzer kein unbeschriebenes Blatt.

Die Bonner Ehrengarde, die Bonner und die Beueler Stadtsoldaten, aber auch die Narrenzunft aus Oberpleis – sie alle standen bei Matzer vor der Tür, nachdem sich die Nachricht von ihrer Rückkehr wie ein Lauffeuer verbreitet hatte. Zwölf Jahre lang war die heute 66-Jährige als Schneiderin an der Bonner Oper für die Kostüme zuständig gewesen, machte Garderobendienst für Stars wie José Carreras und Placido Domingo.

Nach der Geburt ihrer Tochter nähte sie in Heimarbeit weiter, nicht nur fürs Theater, sondern auch für Karnevalsvereine. Weshalb die ihre Arbeit damals wie heute so zu schätzen wissen: „Uniformen sind mit das Schwierigste, was man nähen kann – zu vergleichen mit einem Frack in einer Maßschneiderei“, erklärt Matzer. Hinzu kommt: Die Uniformen müssen eins zu eins identisch sein. Und die Träger sollen natürlich wie aus dem Ei gepellt aussehen. Da bekanntlich jeder Jeck anders ist, sprich ein 25-jähriger Tanzoffizier nicht unbedingt die gleiche Figur hat wie ein gestandener „Knubbelführer“, ist bei jeder Uniform absolute Maßarbeit angesagt.

Dass Matzer ihrer rheinischen Heimat und damit auch ihrer großen Leidenschaft für den Fastelovend jahrelang den Rücken zugekehrt hat, lag daran, dass ihr Mann Österreicher war. „Wir hatten uns entschlossen, unsere zweite Lebenshälfte in Österreich zu verbringen“, genauer gesagt in Leibniz in der Südsteiermark. Statt Karneval war fortan Fasching angesagt – „und das hat rein gar nichts gemeinsam“, findet Matzer. Fasching in der Südsteiermark ist untrennbar mit dem Besuch von großen Maskenbällen in teils opulenten Verkleidungen verbunden. „Einmal lautete das Motto ‚Casanova‘, da waren Kostüme gefragt wie beim Karneval in Venedig“, erinnert sich Matzer. Die Nachfrage war groß: In der Hochzeit beschäftigte Matzer in ihrem Kostümstudio sechs Mitarbeiterinnen. Sogar Zirkusse machten auf der Durchreise Halt bei ihr, um sich ihre Livrees schneidern zu lassen.

Doch nach dem Tod ihres Mannes bekam Matzer Sehnsucht nach der alten Heimat. Seit einem halben Jahr ist sie nun wieder in rheinischen Gefilden und hat „viele alte Freunde und Bekannte wiederentdeckt, so viele Menschen, die mich noch kennen und sich an mich erinnern“.

Seit Anfang September ihr Geschäft eröffnet hat, hat sie Aufträge abgearbeitet „wie verrückt, aber ich habe es keine Minute bereut“. Einziger Wermutstropfen: Das Entwerfen und Schneidern neuer Kostüme für ihren Verleih musste sie vorerst aufschieben. Viele in ihrem Fundus sollen gegen neue Kreationen ausgetauscht werden. Aber auch das, was vorhanden ist, unterscheidet sich deutlich von dem, was man im üblichen Handel erhält. „Ich habe einen Hang zur Perfektion“, sagt Matzer.

Für liebevolle Detailarbeit ebenfalls. Und authentisch sollen die Kostüme auch aussehen: Statt Indianerkostüme gibt es das originalgetreu nachgeschneiderte Winnetou oder Old Shatterhand-Outfit, die Vorlagen für die Südstaatenkostüme lieferte der Film „Fackeln im Sturm“. Und wer in die schwarze Top-Gun-Lederjacke nebst Fliegermontur schlüpft, darf sich fühlen wie Tom Cruise. Sogar die Fallschirmgurte sind „echt“. Die Utensilien kauft Matzer unter anderem auf Trödelmärkten zusammen. Ansonsten lässt sie ihre Fantasie spielen: Als Accessoire für den Steampunk-Zylinder hat sie Holzkugelschreiber mit Leder umwickelt. „So etwas ist genau mein Ding.“ Auch einen ganz eigenen Clown möchte Matzer kreieren, „irgendetwas, was in Richtung Theaterschnitte geht“, und sich natürlich von dem unterscheidet, was man schon kennt.

Wenn die Session vorbei ist, ist keine Pause angesagt: „Dann puste ich zwar erst mal durch. Aber nach Aschermittwoch fange ich schon wieder mit der nächsten Uniform an.“ An Ruhestand denkt die 66-Jährige nicht: „Ich möchte nicht im Wohnzimmer sitzen und puzzeln. Ich mache weiter, so lange es geht.“

Leihen statt kaufen - Vom Röckchen bis zum Ballkleid

Es ist nachhaltiger und gar nicht mal teurer, als ein neues Kostüm zu kaufen: Zwischen 20 und 60 Euro kostet es, sich bei „Happy Angels“, dem Geschäft von Dorothee Matzer, ein Kostüm zu leihen – je nachdem, ob es sich „nur“ um eine ausgefallene Kopfbedeckung oder ein Röckchen handelt oder um ein komplettes Kostüm. Für besonders aufwendige Kreationen wie das Top-Gun-Kostüm, opulente Ballkleider oder Hunnenkostüme kann der Betrag auch schon mal höher ausfallen. Zum Service gehört, dass Matzer das Kostüm für die Kunden „soweit es geht“ passend macht. Ausgeliehen wird in der Regel für mehrere Tage, die Reinigung übernimmt Matzer selbst. Geöffnet ist das Kostümstudio, Siegburger Straße 20 in Oberpleis, täglich von 10 bis 18 Uhr. Infos im Internet auf www.happy-angels.com und unter ☏ 01 57/37 37 18 91. qg

Quelle: General-Anzeiger-Bonn vom 18.02.2025


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Seit Dorothee Matzer vor fünf Monaten ihr Kostümstudio in Oberpleis eröffnet hat, lassen zahlreiche Traditionscorps‘ ihre Uniformen von ihr anfertigen