Die fast vergessene Gedenkstätte
Die fast vergessene Gedenkstätte
Eine Bronzeskulptur an der A3 erinnert anSilke Bischoff, die beim Geiseldrama von Gladbeck am 18. August 1988 ihr Leben verlor
Von Heike Hamann (Text) und Frank Homann (Fotos)
AEGIDIENBERG. | Martin Mallach ist ein hartnäckiger Mann. Niemand, der unverrichteter Dinge aufgibt. Langsam schiebt der 82-Jährige seinen Rollator über den holprigen Feldweg, der von der Kochenbacher Brücke entlang der A 3 über einige Hundert Meter zur Gedenkstätte für Silke Bischoff führt. „Bis vor Kurzem war der Weg hier kniehoch zugewachsen“, erzählt er. „Ich habe der Stadt eine Mail geschrieben, dass man hier mal mähen müsste. Scheint gewirkt zu haben.“ Der Hartnäckigkeit Mallachs und seiner Mitstreiter ist es auch zu verdanken, dass an der Stelle, an der am 18. August 1988 das Geiseldrama von Gladbeck blutig endete und Jürgen Rösner die 18-jährige Silke Bischoff erschoss, bis heute eine Bronzestatue an das Schicksal der jungen Frau erinnert.
Am Anfang stand ein schlichtes Holzkreuz. Kurz hinter der Kochenbacher Brücke in Fahrtrichtung Frankfurt hatte es jemand nach der Tragödie aufgestellt. Nicht selten hielten Autofahrer – verbotenerweise – auf dem Seitenstreifen an, um Blumen abzulegen. Als Anfang der 2000er Jahre die ICE-Trasse durch das Siebengebirge entstand, wurden unweit der Stelle die Lärmschutzwand zur Autobahn errichtet und ganze Straßenabschnitte neu gestaltet. Das Holzkreuz war Vergangenheit. Und das rief Martin Mallach auf den Plan.
An den 18. August 1988 erinnert sich der Windhagener noch heute. Er gehörte nicht zu den Schaulustigen, die von der Kochenbacher Brücke aus den gewaltsamen Polizeizugriff auf das Fluchtauto mit Hans-Jürgen Rösner, Dieter Degowski und ihren beiden verbliebenen Geiseln Silke Bischoff und Ines Voitle beobachteten. „Doch bei uns in den Dörfern knubbelte sich der Verkehr, da ja die Autobahn gesperrt war. Wir wussten, da ist etwas im Gange.“
Mallach regte 2003 einen Ort für ein „würdiges Gedenken“ an, wie er sagt. Und der Windhagener schrieb viele Briefe: an die Stadt Bad Honnef, an den Landesbetrieb Straßenbau, wie er damals hieß, an die Polizei, die Deutsche Bahn, die nordrhein-westfälische Landesregierung, den Bund. Doch die Initiative des Windhageners drohte an gesetzlichen und finanziellen Hürden zu scheitern. „Und dann kam Rainer Hütz und pflanzte eine Linde“, erzählt Mallach und grinst. Hütz, damals Ingenieur beim Landesbetrieb Straßenbau, griff zum Spaten und setzte den Baum als Zeichen der Erinnerung dicht an der Autobahn in den Boden. „Damit waren Fakten geschaffen“, sagt Mallach. Sein Ziel hat er im Übrigen nie aus den Augen verloren: „Ich hatte die Sache doch angefangen, also machte ich sie auch weiter.“
Unterstützung erhielt der 82-Jährige unverhofft über viele Hunderte Kilometer hinweg aus Bayern: Durch einen Bericht im General-Anzeiger war Werner Grünbauer auf das Engagement des Windhageners aufmerksam geworden. Grünbauer, heute 56 Jahre alt, bewirtschaftet einen Bauernhof unweit des Ammersees und ist seit 2011 Bürgermeister der Gemeinde Pähl im Pfaffenwinkel. Das Geiseldrama und der Tod der jungen Frau hätten ihn seinerzeit tief berührt, erzählt er. „Ich hatte damals Kontakt zu der Familie. Das Leid und die Ohnmacht vergesse ich nicht.“ Ein ganzer Staatsapparat habe tiefgreifend versagt, eine Mutter dadurch ihr Kind verloren. „Das durfte man nicht vergessen.“ Einfach zur Tagesordnung überzugehen, habe er als falsch empfunden.
Auch Grünbauer schrieb etliche Briefe. „Wally Feiden, die damalige Bürgermeisterin in Bad Honnef, hat viele Türen geöffnet“, erinnert er sich. Und er vermutet auch, dass der damalige NRW-Ministerpräsident Johannes Rau im Hintergrund für die Initiative ein paar Fäden zog. „Der Vorlauf hat trotzdem Jahre gedauert“, sagt Grünbauer. „Das war schon eine Hausnummer.“
Am 18. August 2009 schließlich wurde die Gedenkstätte für Silke Bischoff in kleinem Kreis eingeweiht. Exakt 50 Meter südlich des A 3-Kilometers 38, so wie es ein am Einsatz beteiligter SEK-Beamter bestätigt hatte, steht im Schatten der Linde die Bronzestele auf einem Basaltsockel, den Mallach aus einem Steinbruch bei Wetzlar erworben hat. Der bayerische Künstler Franz Hämmerle, ein Bekannter Grünbauers, gestaltete die Bronzeskulptur, deren Enden wie zwei Engelsflügel oder aber schutzsuchende Arme zum Himmel zeigen. 62 Einschusslöcher hat die Stele, ebenso viele, wie das Fluchtauto nach dem tödlichen Ende des Geiseldramas. An der Kochenbacher Brücke wurde an diesem Tag zudem eine Gedenktafel befestigt, die ein Schulkamerad Silke Bischofs gefertigt hat. Nüchtern, ohne Pathos ist auf ihr die Chronologie des Geiseldramas nachzulesen. Silke Bischoffs Mutter war an diesem Tag zum ersten Mal an dem Ort, an dem ihre Tochter starb. Für Mallach geht es heute in erster Linie um die Erinnerungskultur, „nicht um die juristische oder polizeiliche Aufarbeitung des Geiseldramas“, wie er betont. Dennoch beschäftigt ihn die Frage, wer die Gedenkstätte pflegt, „wenn wir in zehn, 20 Jahren nicht mehr leben?“ Schon heute sei etwa die Gedenktafel an der Kochenbacher Brücke „kein Aushängeschild“, wie er findet. Wilder Wein drohte eine Zeit lang über die Fläche zu wuchern. Sprayer hinterließen ihre Zeichen rechts und links auf der Lärmschutzwand – die Tafel allerdings blieb immer außen vor.
Für Mallach ist dieser Erinnerungsort authentisch. Das könne man gerade hier der jüngeren Generation vermitteln. „Es geht doch um Fehlverhalten der Menschen, durch das ein anderer Mensch sein Leben verloren hat. An einem solchen Ort wird das deutlich.“
Das Geiseldrama
Drei Tage Flucht durch Deutschland und Holland
Am 16. August 1988 nehmen Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski nach einem missglückten Banküberfall in Gladbeck erst zwei Bankangestellte, später 20 Insassen eines Bremer Linienbusses als Geiseln. Drei Tage dauert die Flucht durch das Ruhrgebiet und Holland, bei der ein Polizist und der 15-jährige Emanuele de Giorgi sterben. In Köln geben die beiden Geiselgangster umringt von Schaulustigen und Journalisten Live-Interviews, bevor sie ihre Flucht mit den Geiseln Silke Bischoff und Ines Voitle über die A 3 fortsetzen. Am 18. August um 13.50 Uhr erfolgt der Zugriff in Höhe Aegidienberg.
Quelle: General-Anzeiger-Bonn vom 18.08.2021