Um drei Uhr nachts kehrt Ruhe ein

Administrator (admin) on 21.11.2022

Wegen eines Bombenfunds müssen mehr als 300 Anwohner ihre Häuser verlassen. Experten entschärfen das Weltkriegsrelikt

Um drei Uhr nachts kehrt Ruhe ein

Wegen eines Bombenfunds müssen mehr als 300 Anwohner ihre Häuser verlassen. Experten entschärfen das Weltkriegsrelikt

 

Von Claudia Sülzen (Text) und Ralf Klodt

AEGIDIENBERG. | Es ist ruhig an diesem Samstagmorgen an der Talstraße in Aegidienberg. Nur Matschspuren auf der Straße, die der Regen noch nicht komplett hat wegwaschen können, erinnern an das Geschehen, das Kräften von Freiwilliger Feuerwehr, Polizei und Hilfs- und Rettungsdiensten sowie Anwohnern gleichermaßen den Schlaf geraubt hat. Und natürlich jenen des Kampfmittelräumdienstes: Um drei Uhr morgens konnten die Experten Entwarnung geben, da war die fünf Zentner schwere Weltkriegsbombe entschärft. Für Verzögerung hatte gesorgt, dass einige Anwohner ihre Wohnungen nicht verlassen wollten.

Viele Rollläden sind am Morgen danach noch geschlossen. Nur vereinzelt kommen Spaziergänger vorbei - aber auch mehr Autos als sonst in der ruhigen Parallelstraße. „Die wollen alle sehen, wo das war“, kommentiert eine junge Frau mit Kinderwagen den Durchgangsverkehr. „Bombentourismus“, nennt das Michael Knecht, nicht ohne einen Schuss Ironie. Knecht und seine Frau Doris, die mit Hund Aaron eine Runde drehen, wohnen an der Leonhard-Kraus-Straße und waren in der Nacht, wie mehr als 300 Anwohnerinnen und Anwohner und auch die junge Mutter mit ihrem fünf Monate alten Säugling, evakuiert worden.

Am späten Freitagnachmittag hatte die Nachricht die Runde gemacht: Auf einem Grundstück an der Talstraße, eine Baulücke gegenüber von Hausnummer 21, war bei Baggerarbeiten ein metallischer Gegenstand gefunden worden - nicht das erste Mal, wie alte Aegidienberger zu berichten wissen. Schon 2003 waren in der Nähe Kampfmittel gefunden worden. Die wurden dann abtransportiert und an anderer Stelle kontrolliert gesprengt.

Sechs Anwohner verweigern

sich der Evakuierung

Worum es sich im vorliegenden Fall handelte, war am späten Nachmittag noch völlig unklar: Da mussten erst die Experten des Landes ran. Die eilten so schnell es ging aus Düsseldorf herbei - im erst abschwellenden Feierabendverkehr an einem Freitag kein einfaches Unterfangen. Sie bestätigen am Abend: Das, was da auf der Baustelle inmitten des Wohngebietes zutage getreten war, war eine Fünf-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg.

Um die Bombe fachgerecht beseitigen und dabei eine Gefahr für die Bevölkerung auszuschließen, musste evakuiert werden. Um den Fundort wurde von den Experten ein Radius von 300 Metern festgelegt. Straßen wurden gesperrt, die Zentrale für die Einsatzkräfte in etwa 400 Metern Luftlinie entfernt am Penny-Markt eingerichtet. In der Joseph-Bellinghausen-Sporthalle an der Burgwiesenstraße wurde eine Unterkunft für die evakuierten Bürger eingerichtet, die dort von Helfern des DRK und der Malteser und der Stadt registriert und versorgt wurden.

Gegen 22 Uhr startete die Evakuierung. Die Feuerwehr informierte über Lautsprecher, ging dann von Haustür zu Haustür. Nicht alles lief wie geschmiert: Sechs Anwohnerinnen und Anwohner weigerten sich, ihre Häuser zu verlassen. Das sorgte für deutliche Verzögerungen. In einem Fall musste die Feuerwehr dem Vernehmen nach die Haustüre öffnen. Gegen zwei Uhr war die Evakuierung abgeschlossen. Und exakt um 2.59 Uhr vermeldeten Feuerwehr und Stadt: Die Bombe ist entschärft, alle können in ihre Wohnungen zurück.

Auch Uta Ingenfeld ist am folgenden Morgen mit dem Hund unterwegs - später als sonst, „ich habe dann doch etwas länger geschlafen“, sagt Ingenfeld, die mit Mann und Sohn In den Kircherlen wohnt. Von den Durchsagen der Feuerwehr sei sie am Abend überrascht worden, als sie es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte. „Da fragt man sich natürlich erst mal, kann das sein?“ Denn, „man ist ja schon im Abschaltmodus“, wie Doris Knecht ergänzt. Dann sei ihr Sohn aus seinem Zimmer gekommen, „der wusste schon Bescheid. Die jungen Leute sind ja viel mehr online unterwegs, da verbreiten sich Nachrichten sehr schnell“, so Ingenfeld.

Wie viele andere verbrachte die Familie die folgenden Stunden in der Sporthalle, wo sich - auf dem Nachhauseweg vom Uniformappell im Tal - auch das Aegidienberger Prinzenpaar samt Begleitung einfand: Auch Prinz Roland I. und Aegidia Silvia I. (Schramm) wohnen in der Evakuierungszone. Allen Einsatzkräften, ob von Feuerwehr, Hilfsdiensten oder Stadt, machten Ingenfeld und das Ehepaar Knecht ein dickes Kompliment: „Das ist toll gelaufen“, sagt Ingenfeld, von der „sehr freundlichen“ Aufforderung, das Haus zu verlassen, bis hin zur Aufnahme in der Sporthalle. „Und wir wurden auch gut informiert.“

Auch die Stadt bedankte sich ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit mit den Einsatzkräften von Kampfmittelräumdienst, Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Holger Heuser, Erster Beigeordneter: „Auch über 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges haben die Kampf- und Sprengmittel nichts an ihrem Schrecken verloren. Umso dankbarer dürfen wir sein, dass durch die gute und professionelle Zusammenarbeit der Einsatzkräfte das schreckensbringende Relikt aus unserem Stadtgebiet sicher entfernt wurde.“ Die Verweigerungshaltung einiger weniger Anwohner, die die ganze Aktion in die Länge gezogen hatte, kann Michael Knecht denn auch nicht verstehen. Er erinnert an einen schlimmen Unfall in Euskirchen 2014, als ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg explodierte und ein Baggerfahrer getötet wurde. „Es muss halt sein in so einem Fall. Alles ist besser, als dass wirklich etwas Schlimmes passiert“, dankt auch er allen Helfern.

Die konnten den Schlaf übrigens teils nicht wirklich nachholen: Sie rückten am Samstagmorgen zu einem Kellerbrand an der Kirchstraße im Tal aus. Aber auch bei diesem Einsatz verlief zum Glück alles glimpflich.

Einsatz in Zahlen

85 Kräfte bis tief in die Nacht im Einsatz

An der Talstraße im Einsatz waren 36 Kräfte der Freilligen Feuerwehr Bad Honnef, 15 Mitglieder des Deutschen Roten Kreuzes Bad Honnef, zehn des Malteser Hilfsdienstes, neun Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Stadt Bad Honnef und vier Aktive des Rettungsdienstes. Zusammen genommen mit elf Kräften der Polizei waren insgesamt 85 Einsatzkräfte an diesem Großeinsatz beteiligt. Die Einsatzleitung durch die Feuerwehr hatte Stadtbrandinspektor Frank Quadflieg.

Über Lautsprecherdurchsagen wurde die Bevölkerung auf die Evakuierung vorbereitet, danach gingen die Einsatzkräfte von Haus zu Haus und forderten die Bewohner zum Verlassen der Wohnungen auf. Zusätzlich wurden Warnungen über die Warnapp Nina verteilt, die Warnsirenen in Aegidienberg wurden ausgelöst und es gab Warnmeldungen über das Lokalradio. Die Stadt Bad Honnef richtete ein Bürgertelefon ein.

In der Sporthalle an der Grundschule übernahmen das Deutsche Rote Kreuz Bad Honnef und der Malteser Hilfsdienst Bad Honnef die Betreuung. Einzelne, mobil eingeschränkte Bürgerinnen und Bürger wurden mit Fahrzeugen an der Wohnung abgeholt und zur Sporthalle gebracht. Insgesamt waren rund um den Fundort etwa 280 Haushalte von der Evakuierung betroffen. suc

 

Quelle: General-Anzeiger-Bonn vom 21.11.2022

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