Gewalt in Aegidienberg fordert Opfer

Separatistenabwehr Im November 1923 ziehen Verfechter der „Rheinischen Republik“ gegen die eigene Bevölkerungzu Felde. Doch die Einheimischen wehren sich. Bürgerverein Aegidienberg lädt für Samstag zu einer Gedenkfeier ein

Gewalt in Aegidienberg fordert Opfer

Separatistenabwehr Im November 1923 ziehen Verfechter der „Rheinischen Republik“ gegen die eigene Bevölkerungzu Felde. Doch die Einheimischen wehren sich. Bürgerverein Aegidienberg lädt für Samstag zu einer Gedenkfeier ein

Von Elmar Scheuren

SIEBENGEBIRGE. | In den Morgenstunden am Freitag, 16. November 1923, kommen bei Gewaltausbrüchen und Schießereien in den Aegidienberger Ortsteilen Himberg und Hövel fünfzehn Menschen ums Leben, viele weitere werden verletzt. Wie konnte es dazu kommen?

Zwei Tage zuvor hatten Bewohner aus den Gemeinden der Rheinhöhen eine Initiative gestartet, um sich gegen drohende Plünderungen durch Separatisten zu wehren. Der Ruf von deren Rücksichtslosigkeit eilte diesen von Linz aus voraus. Einer der Initiatoren, der Arzt Dr. Fritz Rehdantz, erinnerte sich: „Jedoch kam es am Mittwochmorgen noch zu keiner Einigung, da sich innerhalb der ländlichen Bevölkerung große Gegensätze zwischen Arbeiterschaft und Bauern befanden, (…) sodass die Arbeiter immerhin fürchten mussten, für die Bauern ihre Haut zum Markte zu tragen. Von Seiten der Arbeiter wurde nun verlangt, dass die Bauernschaft ihnen mit Lieferung von Lebensmitteln innerhalb der Gemeinde entgegenkommen sollte.“

Nachdem diese Forderung am Abend erfüllt wird, beginnt der Aufbau eines Wach- und Meldesystems samt Verpflegung durch ortsansässige Frauen. Der Zuspruch ist stark. Selbst aus entfernteren Orten wie Windhagen oder Neustadt melden sich Freiwillige.

Am darauffolgenden Donnerstagabend will eine Einheit der Separatisten auf der Suche nach Lebensmitteln die Höhenorte erkunden, trifft aber auf unerwarteten Widerstand. An der zentralen Straßenkreuzung in Himberg wird der Konvoi aus einem Pkw und einem mit Mannschaft besetzten Lkw von einer Straßensperre gestoppt. Der junge Schmiedelehrling Peter Staffel aus Hühnerberg bedrängt das Auto, aus dem ein Schuss abgegeben wird. Die Separatisten ergreifen umgehend die Flucht zurück nach Honnef. Kurz darauf finden Mitstreiter Peter Staffel tot im Straßengraben.

Das Entsetzen über diese Tat treibt die Bürgerwehr zu erhöhter Wachsamkeit und Organisation. Eine Kernmannschaft besteht aus Weltkriegsveteranen, von denen viele beim Rückzug ihre volle Ausrüstung mit Waffen mitgebracht und, wegen des strikten Verbots seitens der Besatzungsmacht, gut versteckt hatten. Unter dem Kommando des ehemaligen Offiziers Hermann Schneider bereiten sie sich vor, beziehen Stellung in Schützengräben und können am Freitagmorgen mit gezielten Salven die schlecht gerüsteten Separatisten im kurzen Prozess zum panikartigen Rückzug zwingen. Es gibt Verletzte, aber keine Toten, und der Spuk ist damit eigentlich vorbei. Die Kräfteverhältnisse sind eindrucksvoll zugunsten der Bürgerwehr geklärt. Auch Berichte von weiteren Scharmützeln oder Prügeleien können daran nichts ändern.

Doch es folgt noch ein tragisches Nachspiel, weil eine Einheit der Separatisten auf versteckten Pfaden nach Hövel gelangt, wo sie das Dorf schutzlos vorfinden. Zwar gewinnt auch hier die anrückende Bürgerwehr schnell die Oberhand, doch der Höveler Bürger Theodor Weinz wird von einer Kugel tödlich getroffen, weitere Mitbürger werden schwer verletzt. Die Separatisten hatten die alten Männer als lebende Schutzschilde missbraucht, müssen nun aber die Flucht ergreifen.

Einige von ihnen können nicht mehr fliehen und werden Opfer von Racheakten: Vierzehn Leichen, „die meist schwere Kopfwunden durch Beilhiebe aufwiesen, wurden noch am gleichen Abend auf dem Friedhof von Aegidienberg begraben“ – so berichtet das „Echo des Siebengebirges“ wenige Tage später.

Unter dem Eindruck dieser Ereignisse rücken noch am Freitagabend französische Truppen in Honnef ein und sorgen für die Entwaffnung und den umgehenden Abtransport der Rheinlandschutz-Truppen. Die Bürgerwehr löst sich schnell auf, Befürchtungen umfassender Untersuchungen und Bestrafungen vonseiten der Besatzung erfüllen sich aber nicht.

Bei aller Tragik bleiben in der Region die große Mobilisierung und erfolgreiche Verhinderung von Plünderungen in lebhafter Erinnerung. Unter dem Eindruck anfangs noch weit übertriebener Opferzahlen von über hundert Toten ist bald von einer „Schlacht“ die Rede. Diese Benennung verfestigt sich mit der späteren Interpretation von angeblich rein politischen Motiven der Abwehrkämpfer: gegen den Erzfeind Frankreich, für das „Deutschtum“.

Schließlich nutzt die Gemeindeverwaltung den in den folgenden Jahren und nach Abzug der französischen Besatzung wieder zunehmenden Nationalismus: Für den dringend benötigten Neubau des Schulgebäudes beantragt sie – mit Erfolg – einen Sonderzuschuss aus Reichsmitteln als „Reichsdank für Aegidienberg“. In dieser Lesart erscheint der hiesige Abwehrkampf nunmehr als entscheidende Niederlage des Separatismus zur Rettung der deutschen Einheit. Es ist eine Sichtweise, die viele ähnliche Vorkommnisse in vielen rheinischen Regionen ebenso außer Acht lässt wie die Tatsache, dass die Diskussionen um rheinische Autonomie noch bis weit in das Jahr 1924 und sogar darüber hinaus fortdauern werden.

In nationalsozialistischer Zeit werden weitere Register gezogen: Aegidienberg spielt eine zentrale Rolle in einer großen „national-historischen Ausstellung: Rheinlands Freiheitskampf …“, die 1933 in der Bonner Beethovenhalle gezeigt wird; und im Siebengebirge entstehen sogar Denkmäler – so die bis heute erhaltenen in Rheinbreitbach (1933) und in Hövel (1935). Noch gewaltigere Planungen verfolgt die Stadt Honnef mit ihrem nationalsozialistischen Bürgermeister für ein weithin sichtbares Mahnmal auf dem Himmerich. Damit soll Honnef von einem allmählich sogar einsetzenden „Abwehrkampf“-Tourismus profitieren.

Zur Grundsteinlegung am 15. Oktober 1933 erscheint der Festredner Joseph Goebbels. Das Projekt wird dennoch scheitern, die Stadt aber auf enormen Kosten der Vorbereitung sitzen bleiben – ganz zu schweigen vom Verlust eines bis dahin überaus beliebten Naturfreunde-Hauses auf diesem Bergplateau, das im Zuge der Planung enteignet, später abgerissen und nicht mehr wiederhergestellt werden wird.

Zur Person

Historiker Elmar Scheuren

Elmar Scheuren ist Historiker und 1952 in Mayen in der Eifel geboren. Von 1972 bis 1980 studierte er Geschichte und Romanistik in Heidelberg und Lyon (Frankreich); anschließend Staatsexamen und Projektarbeit für Museen.

1985 absolvierte Elmar Scheuren ein Volontariat beim Rheinischen Museumsamt des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Von 1986 bis 2018 war er Leiter des Siebengebirgsmuseums der Stadt Königswinter. Publikationen zur regionalen Geschichte mit dem Schwerpunkt auf deren Spiegelungen in der Landschaft hat Scheuren ebenfalls veröffentlicht und zudem forscht und forschte er auch in diesem Gebiet. Auch etliche Ausstellungen hat Scheuren organisiert.

An diesem Mittwoch, 15. November, 18 Uhr, wird Elmar Scheuren im Siebengebirgsmuseum in einem Vortrag über die Schlacht im Siebengebirge und ihre Folgen berichten. Kostenbeitrag: sieben Euro, ermäßigt 5,50 Euro. Am Donnerstag, 16. November, hält Scheuren unter dem Titel „Die rheinische Republik des Jahres 1923 und die ‚Schlacht‘ im Siebengebirge“ in der Aula der Konrad-Adenauer-Schule in Bad Honnef einen weiteren Vortrag. Beginn ist 19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei, es wird um Spenden für die Arbeit des Honnefer Vereins Gutenberghaus gebeten. sly

Quelle: General-Anzeiger-Bonn vom 15.11.2023


15.11.2023
General Anzeiger