Die Separatistenbewegung

Am Samstag Nachmittag erschien, wie wir in unserer letzten Nummer bereits meldeten, der Vertreter des Herrn Kreisdelegierten im hiesigen Rathause. Das Ergebnis seines Besuches und der Verhandlungen, die er hier pflog, war, daß die Separatisten Honnef wieder verlassen werden.

Nach der persönlichen Seite hin erhielten wir von dem Adjutanten des Herrn Kreisdelegierten die Zusicherung, daß unsere Zeitung wieder — wie vor den unruhigen Tagen — ungehindert erscheinen könne. Ueber die Ereignisse seit Samstag Nachmittag ist zu berichten:

Eine etwa 110 Mann starke französische Kavallerieabteilung ritt Samstag Nachmittag hier ein. Die Truppen nahmen, ebenso wie die am Morgen eingerückten Tirailleurs, hier Quartier, das ihnen im Wolfshof, im Herz Jesuheim und in den dort benachbarten Stadtteilen gestellt werden konnte.

Die Separatisten wurden am Samstag in Kursaal gesammelt. Die Verpflegung der Leute, etwa 1000 an der Zahl, im Sammellager Kursaal wurde am gestrigen Sonntag durch die Stadt übernommen, welche sich dazu in den Verhandlungen mit dem Herrn Vertreter des Kreisdelegierten im Interesse der Beruhigung der Bevölkerung bereit erklärte. Es wurde Brot, das von hiesigen Bäckern gebacken, und Essen, das durch städt. Arbeiter zubereitet wurde, geliefert.

Im Wald- und Berggelände zwischen hier und Aegidienberg hatten sich am Freitag heftige Kämpfe entwickelt. Soweit festzustellen ist, liegen 14 tote Separatisten auf dem Kirchhof in Aegidienberg begraben, doch muß die Zahl der Todesopfer noch größer sein. Von der Aegidienberger Bevölkerung sind 2 Tote festgestellt, der 65jährige Schuhmacher Theodor Weinz aus Hövel und ein 18jähriger junger Mann namens Staffel aus Hühnerberg. Ein weiterer dortiger Einwohner, Leonh. Kraus, ist durch Lungenschuß schwer verletzt.

Todesanzeige Theodor Weinz

Auf der Straße durchs Schmelztal liegen als Zeugen der Kämpfe zwei zerschossene Automobile der Separatisten. Das eine (ein Lastkraftwagen der Fa. Wallach-Linz) liegt in der Nähe des Gasthauses zum Schmelztal (Hiersemann), das zweite, ein Personenwagen, liegt in der Gegend des Servatiushofes.

Gestern Morgen rückte eine Abteilung französischer Truppen in Aegidienberg ein und wurde im Giershausen'schen Saal einquartiert. Eine Kavallerieabteilung erschien ebenfalls dort, die aber bald wieder weiterritt.

Gestern Abend kurz nach 7 Uhr verließen die auswärtigen Separatisten unsere Stadt. Sie marschierten kompagnieweise aus dem Kurgarten durch den Ausgang in der Luisenstraße über die Bahnhofstraße zum Bahnhof, von wo sie mit einem bereitgestellten Sonderzug abtransportiert wurden. Vor dem Abmarsch hielt der hier anwesende Sekretär des Separatistenführers Matthes an die im Kurgarten aufgestellten Truppen eine Ansprache. Die Separatisten nahmen auch die am Rathause gehißte grün=weiß=rote Flagge bei ihrem Abzuge mit.

Vor ihrem Abrücken bat uns die separatistische Führung, bekanntzugeben, daß sie hier vorgekommene Ausschreitungen bedauere. Gleichzeitig könne die Bevölkerung versichert sein, daß alle ausgestellten Requisitionsscheine aus der Kasse genannter Bewegung bezahlt und ebenso alle Schäden ersetzt würden. Die Rechnungen sind an die „Regierung der Rheinischen Republik, Koblenz, Schloß" zu richten.
Der Sekretär des Separatistenführers Matthes, Herr Rosenbaum, erklärte gestern gegenüber der Stadtverwaltung, daß die separatistischen Truppen nicht mehr nach hier zurückkehren würden.

Die Stadtverwaltung richtet an die Bevölkerung die dringende Bitte, da nunmehr Honnef wieder frei ist, völlige Ruhe zu bewahren und Disziplin zu zeigen. Dann ist auch damit zu rechnen, daß die französischen Truppen hier wieder abrücken werden. Aufs dringendste müsse jedoch gewarnt werden, Anhänger obiger separatistischer Bewegung irgendwie zu belästigen, da in diesem Falle die Stadt und die Leiter der städtischen Verwaltung für alle Folgen verantwortlich gemacht sind.


19.11.1923
Honnefer Volkszeitung