Das Schicksalsjahr 1923

Rückblick und Erinnerung - Von Otto Rippel
Von den legalen Separatisten

Schicksalsjahr 1923

Rückblick und Erinnerung
Von Otto Rippel

V.

Von den legalen Separatisten
Neben dem wilden, von Frankreich bezahlten und bewaffneten Separatismus der Dorten, Heinz Orbis, Matthes, Smets und Genossen, gab es noch einen sogenannten legalen Separatismus, dessen Treiben für Deutschland nicht minder gefährlich war.
Gleich nach dem Einmarsch der Franzosen in das Ruhrrevier tauchten die ersten Politiker im Rheinland auf, die das Rheinland als für Deutschland verloren ansahen. In Berlin und im unbesetzten Deutschland gab es allerdings auch Männer genug, die der Meinung waren, daß die Franzosen den Rhein niemals freiwillig räumen würden. Ihre These war die Waffengewalt (die sie nicht hatten) und jedes politische Experiment war für sie ein Zeichen der Schwäche. Wer anderer Meinung war, war ein Verständigungspolitiker, ein schlapper Kerl. Diese starken Politiker redeten zwar nicht von einer Preisgabe der Rheinlande, aber der Machtpolitik Frankreichs standen sie völlig ratlos gegenüber. Diese Stimmung gewisser politischer Kreise wurde von den legalen, vernünftigen und anständigen (wie sie sich nannten!) Separatisten weidlich für die Loslösung der Rheinlande ausgenutzt.
In großer Heimlichkelt fanden sich „besorgte Patrioten" zusammen und schmiedeten finstere Pläne, die alle im Interesse Deutschlands liegen sollten, aber alle auf Kosten Preußens gingen und den Anfang vom Ende der deutschen Einheit bedeuteten.
Die Reichsregierung hatte einen „Vier=Zehner=Ausschuß“ für das besetze Gebiet eingesetzt, dem
ich als Vertreter der Deutschnationalen angehörte. Außer Sozialdemokraten, Zentrum und Demokraten, gehörte noch der Abgeordnete Professor Dr. Moldenhauer, Köln, von der Deutschen Volkspartei, dem Ausschuß an. Ich kann nicht sagen, daß ich mich in diesem Ausschuß besonderer Beliebtheit erfreute. Zu wenig verständigungsbereit, zu wenig einsichtsvoll zeigte ich mich, kurz, ich war zu oft der Störenfried in diesem trauten Kreise. Wenn auch der Ausschuß sich nur mit den Sorgen und Nöten des besetzten Gebietes befassen und der Regierung als Beirat dienen sollte, so versuchten immer wieder einzelne Mitglieder den Auftrag des Ausschusses zu überschreiten und große Politik zu machen. Durch diesen Ausschuß blieb man in intimer Beziehung mit dem besetzten Gebiet und lernte das Treiben gewisser rheinischer Kreise kennen.
Schon frühzeitig traten aus dem Dunkel landesverräterischer Geheimbündelei die Zentrumsabgeordneten Pfarrer Kastert, Studienrat Josef Kuckhoff und Professor Dr. Benedict Schmittmann aus Köln hervor.
„In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein wenig Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.“
Nach diesem Rezept teilten die Herren Preußen=Deutschland auf, und wer diesen Plänen, die natürlich den Wünschen Frankreichs entgegenkamen, entgegentrat, hatte kein Verständnis für die besondere Lage der Rheinlande.
In einer denkwürdigen Debatte der Preußischen Landesversammlung saßen diese „legalen“
Separatisten auf der Anklagebank und wurden unschädlich gemacht. Sie mußten ihre Parlamentsmandate niederlegen. Das Zentrum schloß sie aus der Partei aus. Doch die Separatistenepidemie breitete sich weiter aus.
In fast allen größeren Städten, wie Köln, Koblenz, Aachen, Trier, Mainz, Wiesbaden, saßen „legale“ Separatisten=Ausschüsse, deren jeder für sein Dasein eine andere Begründung hatte. Alle aber meinten es „gut mit Deutschland“. Ein Musterbeispiel für diese Auffassung hat der Trierer Rechtsanwalt und zeitweiliger Oberbürgermeister Christian Stöck geliefert, der sogar in einem umfangreichen Verteidigungswerk offen seine Bestrebungen der Loslösung der Rheinlande von Preußen zugibt und stolz darauf ist, daß er niemals und unter keinerlei Umständen eine „Teilung v. Deutschland gewünscht" oder erstrebt habe. Aber von Preußen? Ja, das ist etwas anderes. Die Schrift Stöcks ist ein Denkmal deutscher Schande.
Besonders schlimm wurde es, als am 26. September Reichskanzler Stresemann gegen unseren Widerspruch den passiven Widerstand bedingungslos aufhob, weil „von der Fortsetzung des passiven Widerstandes keine Besserung der außenpolitischen Lage zu erwarten“ sei.
In jenen Tagen brachte die „Times“ einen Aussatz über die Rheinlandfrage und konnte berichten: „In Koblenz werden zwischen Tirard, dem Präsidenten der Rheinlandkommission, und politischen Gruppen der Rheinprovinz erneut Besprechungen abgehalten über die politische Zukunft des besetzten Gebietes. Es kann nicht länger mehr bestritten werden, daß das Rheinland allmählich gegen seinen Willen in Unabhängigkeit hinein gezwungen werden soll. Seine Vertreter haben gewisse Anregungen gemacht, die in etwa den französischen Wünschen entgegenkommen sollen, aber es noch nicht weit genug tun.“ —
Talsächlich konnte Tirard darauf hinweisen, daß er mit Männern wie Oberbürgermeister Adenauer, Justizrat Mönnich, Bankier Hagen und anderen verhandele. Diese Herren waren auch Mitglieder des Vierzehner=Ausschusses. Es unterlag kein Zweifel, daß bevor in unserem Ausschuß über einen Besuch bei Tirard verhandelt wurde, die Herren Hagen u. Adenauer schon bei Tirard gewesen waren. Ich lehnte selbstverständlich den Besuch bei Tirard ab und zog mir den ganzen Zorn der Hagen und Adenauer zu. Herr Adenauer bedauerte, daß überhaupt Westfalen in dem Ausschuß säßen, die zu wenig geschmeidig seien. Den Besuch zu verhindern konnte mir natürlich nicht gelingen. Professor Dr. Moldenhauer von der Deutschen Volkspartei, der mit bei Tirard war, kam nicht gerade erfreut wieder, hatte doch Tirard die Besucher zu offenherzig als Freunde der „Rheinischen Republik" behandelt. Er war sogar so gnädig, zuzugestehen, daß er nichts dagegen habe, wenn der neu zu gründende rheinisch=westfälische Staat im Verbande des deutschen Reiches bleibe!
Bankier Levi Hagen=Köln dagegen war ganz begeistert von dem Besuch und die landesverräterische Zumutung der Verreißung Preußens bereiteten ihm keine Schmerzen. „Ich liebe das Preußen Friedrichs des Großen, nicht aber das heutige Preußen“, meinte Levi Hagen. Friedrich der Große hätte einen Mann wie Levi Hagen auf die Festung Spandau bringen lassen. Hagen führte dauernd Verhandlungen mit den Franzosen und gab offen der Sorge Ausdruck, daß die Verhandlungen mit Tirard abdrehen könnten. Steckenpferd war die Einführung der rheinischen Währungshoheit, ein Gedanke von Paris. Mit Eifer verfolgte Levi Hagen die Genehmigung zur Einführung des Rheinischen Franken, für die er zahlreiche rheinische Wirtschaftskreise aller Parteien gewonnen und selbstverständlich den Segen Frankreichs in der Tasche habe. Daß der Rheinische Franken nach den Plänen Frankreichs das Mittel zur Losreißung des Rheinlandes von Preußen bilden sollte, sah Levi Hagen wohl, schätzte aber sein Geschäft höher ein.
Wo Levi Hagen seine Finger im Spiele hatte — und wo hatte er sie nicht im Spiele? — da war bestimmt Herr Adenauer, Kölns herrschsüchtiger Oberbürgermeister, zu finden. Dieser Mann hat als Oberbürgermeister und Rheinländer in jenen kritischen Tagen eine wenig sympatische Rolle gespielt. Der Berliner Regierung gegenüber fühlte er, „der" Oberbürgermeister sich durchaus gleichberechtigt. Die Notlage der Regierung nutzte er für seine Kommune weidlich aus. Für Frankreichs Politik am Rhein hatte er auffallend weitgehendes Verständnis. So meinte er einmal: „Die Sicherheitsthese Frankreichs ist nicht nur fauler Zauber, das sagt die Geschichte der letzten hundert Jahre". In jeder Sitzung konnte man feststellen, daß Adenauers ganzes Streben darauf gerichtet war, für das Rheinland die totale Selbstverwaltung zu erlangen. Selbstverständlich hielt er, obwohl Köln von den Engländern besetzt war, gute Fühlung mit Herrn Tirard in Koblenz und war überzeugt, daß Levi Hagens Rheinischer Franken und die Loslösung von Preußen allein das Rheinland für Deutschland retten könne. Als in jenen trüben Herbsttagen des Jahres 1923 die Separatisten überall mit Gewalt vorgingen und unter dem Schutze der Waffen Frankreichs siegreich waren und die bösen Nachrichten sich in Köln überstürzten, da meinte Herr Adenauer, nun müßten die anständigen Elemente die Sache des Rheinlandes in die Hand nehmen „und wenn schon mal kutschiert werden muß, meine Herren, wollen wir uns auf den Bock setzen!“ Daß Herr Adenauer und sein Kreis nicht auf den Bock zu steigen brauchten, verdanken wir lediglich jenen anständigen Elementen, den beherzten Patrioten aller Parteien und Berufsstände, die zur entschlossenen aktiven Gegenwehr griffen, und dem Separatismus der Dorten und Genossen den Garaus machten. Mit der Vernichtung der bewaffneten landesverräterischen Banden, schwand urplötzlich die Notwendigkeit der „Rettung der Rheinlande" durch die anständigen Elemente!


12.11.1933
Das Volk