Separatisten bringen Chaos nach Honnef

Vor 100 Jahren versuchten Separatisten die Rheinische Republik zu gründen. In Honnef missglückt das Hissen der Fahne

Separatisten bringen Chaos nach Honnef

Vor 100 Jahren versuchten Separatisten die Rheinische Republik zu gründen. In Honnef missglückt das Hissen der Fahne

Von Elmar Scheuren

SIEBENGEBIRGE. | Es ist Dienstag, der 13. November 1923. Die Stadt Honnef (damals noch ohne „Bad“) ist in Aufregung. Nachmittags um drei Uhr soll auch hier offiziell die neue Republik ausgerufen werden. Großer Bahnhof auf dem Marktplatz, Angehörige einer „Division“ unter dem Kommando des Bonner Maurerpoliers Peter Rang sind angetreten. Als Teil des „Rheinlandschutzes“ sind sie von Koblenz aus für die rheinische Sache unterwegs. Honnef ist – nach Linz – ihre zweite Station. Der große Auftritt wird jedoch einen unverhofften Verlauf nehmen.

Ein Redner preist die Würde des feierlichen Akts als „Morgenröte besserer Zeiten“. Die rheinische grün-weiß-rote Fahne wird am Rathaus aufgezogen. Mitten in diese Zeremonie schallt der Ruf „Ganzes Bataillon kehrt“. Teile des Publikums und der angetretenen Kämpfer folgen der Aufforderung und drehen der aufsteigenden Fahne den Rücken zu. In der Bergstraße fällt ein Schuss. Chaos, Durcheinander. Der Oberkommandierende lässt den Marktplatz räumen.

Eine symptomatische Szene für den Verlauf des ganzen Putschversuchs. Zu diesem Zeitpunkt besteht die „Rheinische Republik“ seit dreieinhalb Wochen. Begonnen hatte sie mit einer spontanen Proklamation in Aachen am 21. Oktober. Schlecht vorbereitet, überraschend selbst für den harten Kern der Bewegung, versuchen deren Führungspersönlichkeiten, den Fehlstart in geordnete Bahnen zu lenken. Sie können dabei auf organisatorische Strukturen zurückgreifen, die in den vergangenen knapp drei Jahren nach Ende des Weltkriegs gewachsen sind, genauer mit drei Parteien: die „Rheinische Volksvereinigung“, die „Rheinische Republikanische Volkspartei“ und die Partei „Frei Rheinland“.

Diese verfolgen zwar im Detail sehr unterschiedliche politische Ziele, sehen im Sommer 1923 und unter dem Eindruck der zunehmend bedrohlichen politischen und wirtschaftlichen Krisen – darunter eine wilde Inflation und die Folgen der französischen Ruhrbesetzung – aber ihre Stunde gekommen. Als „Vereinigte Rheinische Bewegung“ stellen sie die rheinische Autonomie als oberstes Ziel ins Zentrum ihrer Bemühungen.

Als entscheidend für den weiteren Verlauf wird sich die Haltung der Besatzungsmächte erweisen – hier vor allem der Engländer und Franzosen. Auf englischer Seite wecken die französischen Ambitionen am Rhein großen Argwohn. Dabei können die Briten ein gewichtiges Faustpfand ins Feld führen: Zu ihrer Besatzungszone zählt die Stadt Köln und damit die gefühlte Hauptstadt der rheinischen Gefilde.

Deren Oberbürgermeister Adenauer sympathisiert zwar auch mit rheinischer Autonomie, allerdings nur „im Verband des Deutschen Reiches“, radikalere Ziele lehnt er ab. Ausgeglichen wird der Sonderstatus der Stadt Köln von der französischen Besatzungspolitik, die einen Pufferstaat zwischen Frankreich und dem gefährlichen „preußischen“ Deutschland anstrebt. Ihre Parteinahme lässt sich die Besatzungsmacht auch etwas kosten, indem sie die Separatisten heimlich finanziell und logistisch unterstützt.

So sorgen die Franzosen auch dafür, dass wenige Tage nach der Aachener Proklamation eine vorläufige Regierung ihre Geschäfte im Koblenzer Schloss aufnehmen kann. Rheinlandweit können Gruppen von Separatisten in vielen Kommunen öffentliche Gebäude besetzen, fast immer unter dem Schutz des französischen Militärs, das als Ordnungsmacht auftritt und Gegner der „Sonderbündler“ in ihre Schranken weist.

Als der Bonner Polizei in der Nacht vom 22. zum 23. Oktober beim Anmarsch der Separatisten sogar der Gebrauch ihrer Schusswaffen verboten wird, wehren die Verteidiger des Rathauses sich mit Wasser aus Feuerwehrschläuchen – zunächst mit Erfolg. Bis das französische Militär eine Kompromisslösung ermöglicht: Um 6.30 Uhr morgens kann der separatistische Ortskommissar Josef Natter die Republik verkünden und auf dem Rathaus die rheinische Fahne hissen lassen.

Ähnlich geschieht es am gleichen Tag in Beuel. Allerdings, wie der französische Oberdelegierte für die Region Bonn, Colonel Gélin, in einem internen Bericht schreibt: „ohne mich zu informieren“. So konnte es geschehen, dass „von den Separatisten ein paar Schüsse in die friedliche Menge abgegeben wurden, und ein junger Mann wurde tödlich verletzt“.

Die Anspannung in umliegenden Orten steigt, als am 25. Oktober auch in Königswinter das Rathaus unter wilder Schießerei besetzt wird. Nur wenige Orte bleiben von solchen
Aktionen verschont, darunter Oberkassel, wo Verteidiger Vorbereitungen treffen bis hin zu einem Nachrichtendienst, der vielleicht die Separatisten abschreckt.

Besonders schlau: die Oberkasseler holen wichtiges Material aus dem Rathaus und entfernen vorsorglich auch das Schild der Sparkasse, damit dieses potenzielle Ziel den Putschisten möglichst entgeht.

In Honnef lösen alle diese Nachrichten ganz andere Unruhen aus: Sie treffen mitten in eine Demonstration von Erwerbslosen und bewirken regelrechte Panik, da der Zusammenbruch der Verwaltung und damit das Ausbleiben der Hilfslieferungen und Unterstützungszahlungen befürchtet wird.

Kollektiver Zorn trifft tatsächliche und mutmaßliche Sympathisanten der Separatisten. „Man schrie und tobte und kämpfte schon gegen einen unsichtbaren Gegner“, und „die Polizei war machtlos gegen die immer rücksichtsloser werdenden sogenannten Helfer“, heißt es im Bericht des Polizeikommissars Sabier. Tatsächlich aber bleibt Honnef verschont – bis weit in den November, als neue Entwicklungen die Region in Unruhe versetzen.

In Koblenz braut sich Unheil zusammen. Die vorläufige Regierung erweist sich als hoffnungslos überfordert und zusätzlich bedrängt vom massenhaften Zulauf zu ihren Rheinlandschutz-Truppen. Deshalb werden größere Einheiten derselben ohne nennenswerte Ausstattung und allenfalls rudimentär bewaffnet in andere Regionen geschickt. Dort sollen sie helfen, die neue Republik zu stabilisieren.

So gelangt die „Division Rang“ am 10. November auf ihrem Weg nach Siegburg zunächst nach Linz. Auch hier sichern französische Soldaten die „Machtübernahme“, aber mit ihrem Verhalten verspielen die Separatisten auch die letzten Sympathien. Güter von Geschäftsleuten und Bürgern werden für Heereszwecke beschlagnahmt, Ausschreitungen sind an der Tagesordnung.

Es dauert nur zwei Tage, bis der französische Bezirksdelegierte das unwürdige Spiel beendet und die Truppe zum Weiterzug zwingt. Unterwegs leiden Erpel, Unkel und Rheinbreitbach darunter, dann wird Honnef seine ersten Erfahrungen mit der neuen Ordnungsmacht sammeln. Der missglückten Fahnenhissung werden dramatische Tage folgen.

Lesen Sie in der Ausgabe am 16. November über die Separatisten im Siebengebirge, den Abwehrkampf und seine Folgen.

Zur Person

Elmar Scheuren

Elmar Scheuren ist Historiker und 1952 in Mayen in der Eifel geboren. Von 1972 bis 1980 studierte er Geschichte und Romanistik in Heidelberg und Lyon (Frankreich); anschließend Staatsexamen und Projektarbeit für Museen.

1985 absolvierte Elmar Scheuren ein Volontariat beim Rheinischen Museumsamt des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Von 1986 bis 2018 war er Leiter des Siebengebirgsmuseums der Stadt Königswinter. Publikationen zur regionalen Geschichte mit dem Schwerpunkt auf deren Spiegelungen in der Landschaft hat Scheuren ebenfalls veröffentlicht und zudem forscht und forschte er auch in diesem Gebiet. Auch etliche Ausstellungen hat Scheuren organisiert.

Am Mittwoch, 15. November, 18 Uhr, wird Elmar Scheuren im Siebengebirgsmuseum in einem Vortrag über die Schlacht im Siebengebirge und ihre Folgen berichten. Kosten: 7 Euro, erm. 5,50 Euro. sly

Quelle: General-Anzeiger-Bonn vom 13.11.2023


13.11.2023
General Anzeiger