Wenn die Markise zum Dach wird

Administrator (admin) on 07.11.2020

Abwasserwerk ermittelt wegen der Kanalgebühr die versiegelten Flächen in der Stadt. Bürger beklagen sich über Fehler

Wenn die Markise zum Dach wird

Abwasserwerk ermittelt wegen der Kanalgebühr die versiegelten Flächen in der Stadt. Bürger beklagen sich über Fehler

 

Von Claudia Sülzen
Bad Honnef. Als Franz Müller die Post aus dem Rathaus studierte, staunte er nicht schlecht. Bei der Flächenüberprüfung für die Niederschlagswassergebühr für rund 6300 Grundstücke, die die Eigentümer erhalten haben, findet sich eine versiegelte Fläche, die es so nicht gibt. Denn nicht nur das Dach des Hauses war – richtigerweise – ausgewiesen. Auch die lose Folie zum Schutz der jungen Tomatenpflanzen im Garten hat es in die farbige Darstellung geschafft. „Die müssen im Sommer geflogen sein“, kommentierten andere GA-Leser, deren Markise ebenfalls als Dach ausgewiesen wurde. Doch auch fernab von derlei amüsanten Details gibt es Klagen über Ungenauigkeiten in der Erhebung, die als Grundlage dient für die Berechnung der Gebühr.
Wie berichtet, überprüft das Abwasserwerk im gesamten Stadtgebiet die Daten. Hans-Joachim Lampe-Booms, Chef des Abwasserwerkes: „Ziel ist die Aktualisierung der Flächendaten, die für die korrekte Ermittlung der Gebühren erforderlich ist. In den vergangenen Jahren haben sich einige Fehler eingeschlichen, und die 1988 erhobenen Daten stimmen oft nicht mehr mit den tatsächlichen Verhältnissen überein.“ Das gelte nicht zuletzt für Gewerbe und damit oft große Flächen, die so eventuell nicht erfasst seien.

Daten wurden zuletzt 1988 erhoben

Die Grundstückseigentümer bekamen einen Bogen mit Ergebnissen einer Luftbildauswertung. Die Überfliegung, so Lampe-Booms zum GA, war 2019. „Die Luftbilddaten müssen mittlerweile nicht mehr selbst durch Befliegung ermittelt werden, sondern werden vom Land NRW zur Verfügung gestellt.“ Die gesamte Abwicklung übernehme ein Dienstleister, den die Kommunal Agentur NRW des Städte- und Gemeindebundes empfohlen habe. „Wir sind im Vergleich mit anderen Kommunen spät dran. Und das Abwasserwerk ist nicht in der Lage, alle Arbeiten im eigenen Haus zu erledigen.“
Der Dienstleister liefere darum das ganze Paket von der Auswertung der Luftbilder über die Anschreiben, das Versenden und die Hotline bis zu den Beratungen im Rathaus. Kostenpunkt für die Stadt pro Grundstück: 15 Euro, macht knapp 100 000 Euro. Gemessen daran, so Lampe-Booms, dass nur die Überfliegung „sicher 25 000 Euro“ gekostet hätte, „ein gutes Angebot“.
Die Eigentümer sollen nun anhand der mitgeschickten Erläuterungen Korrekturen vornehmen und zurückmelden. Als Frist war der 20. November genannt. „Wenn ich bis zu dem genannten Termin keine Mitteilung von ihnen erhalten habe, gehe ich davon aus, dass die ermittelten Flächen korrekt sind“, heißt es in dem Schreiben. Die Rückmeldung kann per Post oder online geschehen.
Und das, sagt etwa Anwohner Klaus Radermacher, laufe mehr als holprig. Nachdem ihm Unstimmigkeiten aufgefallen waren, überprüfte er alles anhand der Architektenpläne und Umbauunterlagen. Die korrigierten Daten wollte er online einpflegen – musste aber feststellen, dass die Angaben im Online-Portal noch einmal erheblich von der Brief-Fassung abwichen. Keine Lösung brachte der Anruf bei der Hotline, sagt er: Der Mitarbeiter sagte, er sitze im Ruhrgebiet und habe keinen Zugriff auf die Akten der Stadt. Radermacher in einem Brief ans Abwasserwerk: „Wenn die von Ihnen erhobenen und an die Grundstückseigentümer versandten Informationen durchweg diese Qualität haben, kann ich Ihnen nur dringend empfehlen, die gesamte Aktion abzubrechen und sich bei den Bürgern für dieses Desaster zu entschuldigen. Zuverlässige Zahlen lassen sich so nicht ermitteln.“
Auch andere Leser kritisierten Abweichungen teils im dreistelligen Quadratmeterbereich. Das mag Lampe-Booms so nicht stehen lassen: Bei größeren Abweichungen geht er von Einzelfällen aus. Und die könnten anhand der Erläuterungen gut korrigiert werden. Dass es Fehler gegeben hat, verhehlt er nicht. So habe der Dienstleister auf dem Schreiben eine falsche Rathaus-Durchwahl vermerkt und habe anfangs der QR-Code mit dem persönlichen Online-Zugang nicht funktioniert. „Dafür kann ich mich nur entschuldigen.“ Beide Probleme seien behoben, die nicht existierende Durchwahl auf die Hotline umgeleitet. Auch dass diese manchmal überlastet sei, sei „ärgerlich“, aber nicht zu verhindern. Da es „beim Versand der Unterlagen einige Probleme gab und einige Bürger wegen Fristverlängerung angefragt haben“, werde die Frist um zwei Wochen verlängert, so Lampe-Booms. Auch gebe es Bürger, die persönliche Besuche im Rathaus wegen der Pandemie trotz Hygienekonzepts mieden; über feste Einzeltermin-Vergabe werde nachgedacht.
Von 6300 Briefen gebe es zurzeit rund 500 Rückläufe. Eine Befürchtung von Bürgern will Lampe-Booms entkräften: dass die Gebühren steigen. „Der Gebührenbedarf, der der Gesamtsumme der geschätzten Niederschlagswassergebühren entspricht, wird sich ja nicht ändern, er wird nur auf mehr Quadratmeter versiegelte Fläche insgesamt umgelegt.“ Dies, das zeigten Erfahrungen aus anderen Städten, führe „in der Regel zur Reduzierung der Gebühr. Worum es also geht, ist Gebührengerechtigkeit.“ Für das Gros der Eigner hebe eine Gebührensenkung gestiegene Quadratmeterzahlen in der Rechnung eher fast oder ganz auf, ist er überzeugt.
Wie genau sich die aktuelle Erhebung auf die Gebührenzahler auswirkt, wird freilich noch nicht so schnell feststehen: Die Auswertung der Daten soll voraussichtlich im ersten Quartal 2021 abgeschlossen sein.

Gebühren wurden zum 1. Januar erhöht
Niederschlagswasser 1,70 Euro pro Quadratmeter
Der Betriebsausschuss hatte die Neuermittlung der Niederschlagsflächen
im August beschlossen . Grundlagen sind das Kommunalabgabengesetz NRW und die Entgeltsatzung der Stadt; diese berücksichtigt auch die Ermittlung und Bearbeitung durch Dritte unter Wahrung des Datenschutzes.Die Gebühren waren zum 1. Januar gestiegen, die Schmutzwassergebühr von 3,31 auf 3,50 Euro pro Kubikmeter, die Niederschlagswassergebühr von 1,59 auf 1,70 Euro pro Quadratmeter – letzterer ist im Vergleich zu Nachbarkommunen laut Abwasserwerk ein
hoher Wert . Die Schmutzwassergebühr wird auf Basis des Trinkwasserverbrauches berechnet, die für Niederschlagswasser auf Basis versiegelter Grundstücksflächen. 2020 liege die Gebührenerwartung insgesamt bei 8,6 Millionen Euro, davon 2,5 Millionen Euro Niederschlagswasser Grundstücke, 1,2 Millionen Euro Niederschlagswasser Straßen und Wege und 4,9 Millionen Euro Schmutzwasser. So seien etwa 29 Prozent von der Ermittlung abhängig.

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